Das gute Leben Urban Future

Urban Happiness: Helsinki oder die Stadt als Ermöglicher

Finnland ist ja seit einigen Jahren das „glücklichste Land“ der Welt, folgt man dem World Happiness Report der UN. Dieses Ergebnis mag verwundern, denkt man z.B. an die finnischen Psychogramme in Filmen von Aki Kaurismäki mit lauter depressiven Antihelden, die stumm in ihren Abgründen ersaufen. Doch Finnland hat sich in den letzten drei Jahrzehnten ambitioniert in die Zukunft transformiert, als führender High-Tech-Standort mit vorbildlichem Bildungs- und Sozialsystem und erstklassigen, Bürgerzentrierten digitalen Services. Für die hohe Lebenszufriedenheit im Land sorgen neben harten ökonomischen und infrastrukturellen Errungenschaften vor allem weiche Erfolgsfaktoren wie gesellschaftlicher Zusammenhalt, Teilhabe, Egalität, eine besondere Verbundenheit mit der Natur u.v.a.  

Insbesondere die sozialen Qualitäten machen denn auch die finnische Städte, allen voran Helsinki, lebenswert. Andere skandinavische Städte – etwa Kopenhagen – mögen von Stadtambiente und Baukultur her einnehmender, in der Stadtentwicklung innovativer und in ihrer Fahrrad-Infrastruktur (Bike first) ausgereifter sein. Dafür versteht es Helsinki, soziale Services und soziale Orte von herausragender Qualität zu entwickeln. Wissend, dass das Wohlbefinden der Bewohner:innen insbesondere von sozialen Beziehungen, den „weak ties“, von ihren Interaktionen und zufälligen Begegnungen abhängt. Diese freilich gilt es seitens Politik und Stadtverwaltung zu ermöglichen.

Die soziale und emotionale Infrastruktur einer Stadt, das Social Place Making werden immer mehr zu einem wichtigen Standortfaktor im Wettbewerb um Talente und Besucher.

Das soziale Glück der Menschen hängt zum einen ab von einer Caring Governance, einer sich 360  ͦ um die Bürger:innen kümmernden – smarten – Verwaltung sowie von aufmerksamen Unternehmen (z.B. familienfreundliche Infrastruktur und Arbeitsplätze – Helsinki zählt übrigens weltweit als „Best City for Families“, movinga 2020). Zum andern liegt es an der umsichtigen Konzeption Dritter Orte und diverser sozialer Aktivitäten und Formate. „Man is man’s greatest joy“ (Jan Gehl). Urbane Glücksorte sind immer auch soziale „Resonanzoasen“ (Hartmut Rosa), die den Dichtestress der Stadt aufheben und die Bindungs-Hormone aktivieren.

Zum gesellschaftlichen Impact kommt – vor allem in der Ausgestaltung kreativer Orte – ein strategischer Aspekt dazu: die Stärkung innovativer Milieus. Zukunftsfitte Städte bilden Kreativ-Orte heraus, die diverse Szenen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Kreativ-Wirtschaft und damit Träger von Informationen und Kreativität zusammenbringen. Ein derartiger Transfer von implizitem und explizitem Wissen stärkt die innovativen Ökosysteme einer Stadt.

Derartige Orte finden sich in Helsinki an jeder zweiten Ecke, ob institutionell oder informell, ob umgeben von grüner oder von blauer Infrastruktur:

  • Hohe Dichte an Cafés und Lokalen, nicht nur in Szenevierteln, sondern auch und gerade in den kleinteiligen Nachbarschaften sowie (oft angenehm versteckt) entlang der Küstenlinie
  • Stark frequentierte Marktplätze, auf denen sich die Menschen zwischen den Obstständen zu Café und Zimtbrötchen treffen und auf einfachen Holzbänken mit einander ins Gespräch kommen
  • Europaweit führende Business-Ökosysteme und Zukunftsorte (z.B. Tech Hub Maria), quirlige postindustrielle Transformationsorte (für Kreativ-Szenen, Start-ups und Sozial-Unternehmen)
  • Mikro-Parks mit (oft hochwertigen) Kinderspielplätzen
  • Unzählige Kioske, an denen sich abends die Nachbarn zu Würstchen und Bier treffen
  • Nicht zuletzt die vielen auch öffentlichen Saunen (Paradeorte finnischer Interaktion – und wenn es gemeinsam schweigen ist 😊), die quer über das Stadtgebiet verteilt sind.

Attraktive städtische Räume und Dritte Orte müssen generell der hohen gesellschaftlichen Komplexität Rechnung tragen, indem sie scheinbare Gegensätze verbinden: sie ermöglichen individuelle Identifikation und kollektive Interaktion, sie halten eine Balance von Vertrautem und Überraschendem, von Abgeschlossenheit und Durchlässigkeit (Open Innovation), von Homogenität und Diversität. Sie tragen entscheidend zur Identität und zum Spirit einer Stadt bei.

Der Ort in Helsinki, der all diese Qualitäten in sich vereint und an dem sich ganz Helsinki – ob jung oder alt – trifft, ist die zentrale städtische Bücherei: Oodi. Das Signature Building des modernen Helsinki. Dynamisch, eleganter Baukörper, ein schwungvolles Schiff, das das Häusermeer rundum durchteilt, und das alle an Bord nimmt.

Ein Dritter Ort, wie er umsichtiger nicht gedacht sein könnte – divers, inklusiv und multifunktional: eine riesige lichtdurchflutete Bibliothek (in der man allerdings nicht ehrfürchtig schweigt, sondern angeregt aber dezent miteinander spricht, in der man lässig in bequemen Sitzmöbeln oder konzentriert an Arbeitstischen sitzt, in der es ein offenes Café ebenso gibt wie eine große Kinderspielzone, in der gekreischt, gelacht und gehüpft wird. Auf drei Etagen verteilen sich unterschiedliche  Räume, je nach Funktion offen oder abgeschlossen, aber immer transparent, durchlässig. Wissen, Bildung, Handwerk, Spiel und Begegnung. Hier machen Schüler ihre Hausaufgaben, dort lümmeln Teenager, in einer anderen Ecke sind Besucher:innen konzentriert über Bücher und Notebooks gebeugt. In einem anderen Stockwerk wird an einem der 3D-Drucker gewerkelt, daneben auf einer der Nähmaschinen ein Kleid fabriziert. Hausfrauen, Studentinnen, Gothic Girls – selbst ist der Mensch. Nachbarschaftsküche, Workshop-Räume, Maker Space, Kino und Studios, Räume für Bürgergruppen usf… Und eine großzügige Terrasse, auf der man hoch über der Stadt sitzt und dem kognitiven Kapitalismus entschwebt.

So funktionieren glückliche Städte – sie verstehen sich als Enabler, erhöhen die Möglichkeiten ihrer Bewohner:innen und stärken mit inklusiven und inspirierenden sozialen Orten die Attraktivität des Standorts insgesamt. Happy places, happy people. Das kann man von Helsinki lernen.

2 Kommentare zu “Urban Happiness: Helsinki oder die Stadt als Ermöglicher

  1. Tolle und sehr ansprechende Zusammenfassung der „helsinkischen” Attraktivität.

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