Jetzt, in diesen ersten Tagen des neuen Jahres, kultiviert man ja bekanntlich seine guten Vorsätze (Dry January, gesunder Lebensstil, mehr Zeit für die Familie usf.). Verständlicherweise beziehen sich diese Optimierungslisten immer auf das eigene Leben. Ich möchte das überhaupt nicht kleinreden – Selbstfürsorge ist ein hoher Wert, wer will nicht das eigene Leben schöner, gesünder und (wie auch immer) „besser“ gestalten? Aber wäre es bei diesen Resilienz-Übungen nicht auch naheliegend, sich selbst zugleich stärker ins große Ganze hineinzudenken, das Ich mit dem Wir zu verbinden, die individuelle Bubble mit der kollektiven, das eigene Wohl mit dem Gemeinwohl? Fröhlicher Eskapismus in Ehren – das gute Leben lässt sich erfahrungsgemäß nicht immer auf die eigene Couch oder den Lieblings-Retreat reduzieren.
In einer hochkomplexen, dynamischen Welt ist alles mit allem verbunden, wir alle sind bewegliche Knotenpunkte flüssiger Netzwerke. Alles steht mit allem in Wechselbeziehung: Menschen und Ökosysteme, Natur und Technologie, Krisen und Innovationen, Konsumenten und Märkte. Jeremy Rifkin, US-amerikanischer Vordenker, spricht vom Menschen als „halbdurchlässige Membran“. Interdependenz ist tief eingeschrieben in die DNA unserer vernetzten Gesellschaft. Es ist somit nur systemlogisch, Achtsamkeits-Strategien vom Privaten auch auf das Öffentliche zu übertragen.

Das gute Leben kann nur dann nachhaltig ein solches bleiben, wenn wir zwei soziale Kerntugenden beleben: Empathie und (praktizierte) Verantwortung. Aber hallo, wird da jemand einwerfen, ausgerechnet in diesen Krisenzeiten, in denen Kriege in nächster Nachbarschaft herrschen und bei uns Blockaden, Proteste und Wutbürger das System lahmzulegen drohen? Ja, gerade dann, wenn „der Surrealismus das Museum verlassen hat“ (Nicolás Gómez), brauchen wir den systemischen Blick, um die Dinge ins Positive zu drehen.

Die toxischen Verhältnisse, die uns aktuell mit Krisen und überhitzten Stimmungen befeuern, verstärken nicht nur die Bruchlinien in unserer Gesellschaft, sondern gleichzeitig auch das Bedürfnis nach Resilienz. Transformationen sind immer auch eine Zumutung. Resiliente Menschen und Organisationen akzeptieren Unsicherheiten als kollateralen Bestandteil des Lebens. Sie verlassen immer wieder ihre kognitiven Komfortzonen, denken in Wechselwirkungen, haben ein dynamisches Verständnis von Resilienz. Sie verstehen sich als mitfühlende, mitgestaltende Akteure einer gesellschaftlichen Transformation, die nie aufhört. Dazu braucht es freilich ein starkes Narrativ, ein (von möglichst vielen getragenes) Leitbild des „guten Lebens“, das auf inklusives, Ressourcen schonendes Wachstum setzt und auf eine gerechte Verteilung des Wohlstands. Caring Capitalism eben.
Krisenbeschwörung dort, Ermutigung hier. Der Hyper-Individualismus der letzten Jahrzehnte hat seinen Höhepunkt ebenso überschritten wie das lineare Wachstums-Denken, das die planetaren Grenzen mehr als überreizt hat. Das Bewusstsein für einen dringend nötigen Systemwechsel nimmt zu. Vom Einhorn zum Zebra gewissermaßen.

Vielerorts, und das stärkt meine Zuversicht, ist ein Umdenken spürbar. Der regenerative Umbau unserer Wirtschaft ist sichtlich auf dem Weg, auch wenn der Übergang holprig ist. Er erfolgt einerseits top down durch z.B. die Roadmap der UN-Nachhaltigkeitsziele (SDG’s), die ESG-Direktiven u.a. Richtlinien der EU im Rahmen des Green Deals, andererseits bottom up durch den Druck der Generation Z, die verstärkt Verantwortung von Unternehmen einfordert, als Konsument:innen ebenso wie als Arbeitnehmer:innen.

Überall verdichten sich die Signale der Hoffnung auf eine bessere Welt:
- Immer mehr Unternehmen und Standorte wollen mit ihrem Wirtschaften einen positiven Impact hinterlassen (so labelt sich z.B. die niederländische Stadt Den Haag als Impact City, die mit ihrem wirtschaftlichen Ökosystem das Leben ihrer Bürger:innen und Anspruchsgruppen stetig verbessert).
- Die Gemeinwohl-Ökonomie wächst langsam aus der Nische in die Breite (immer öfter auch auf kommunaler Ebene, spürbar z.B. in der Quartiersentwicklung).
- Zirkuläre Geschäftsmodelle wie „As a Service“ verändern Konsumverhalten und Märkte (z.B. Shared Mobility).
- Dezentrale Partnerschaften hebeln gewohnte Wertschöpfungsmodelle aus (z.B. Energie-Gemeinschaften von Bürger:innen) usf.
Die Ära der kollaborativen Ökosysteme ist angebrochen und bringt co-kreative Allianzen und cross-sektorale Partnerschaften hervor: „The map is not the territory“ (Alfred Korzybski). In dieser systemischen Transformation, die auch eine soziale ist, gehen Selbstwirksamkeit und Impact Economy Hand in Hand. Resilienz gibt es nur zu zweien.

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