Das gute Leben Future Tourism Place Making

Das kuratierte Urlaubsglück  

Man lümmelt in einem bequemen Loungesessel, auf der Terrasse des puristischen Holzhotels, liest sich begeistert durch das neue Buch von Christian Kracht, blickt ab und zu auf die imposante Bergwelt rundum und süffelt einen Negroni. So sieht ein glückliches Wochenende in spätkapitalistischen Zeiten aus. Ja darf man denn das: glücklich sein, während draußen die Welt kracht, regelbasierte Ordnungen von durchgeknallten Autokraten zertrümmert und Börsen wie Volkswirtschaften in schwere Turbulenzen gestoßen werden?

Gerade in Zeiten von globalen Krisen und tiefgreifenden Umwälzungen geht es um die Stärkung der eigenen Resilienz. Raus aus der Negativspirale und den surrealen News. Nur wer innerlich gestärkt ist, kann zuversichtlich sein Leben gestalten, die eigene Selbstwirksamkeit spüren und somit proaktiv eine bessere Zukunft ansteuern. Angesichts der systemischen Verletzlichkeit wird das Leben allzu oft zu einer einzigen Coaching-Zone umgestaltet, in der es von Life Hacks, Ikigai-Botschaften und anderen Lebenskunst-Mantras nur so wimmelt.

Resilienz und Regeneration sind Geschwister. Meist genügt ein Kurz-Urlaub vom Alltag – wir alle brauchen ab und zu schnelle Fluchten, anregende Orte und tiefgehende Erfahrungen, die uns wieder mit positiver Energie aufladen.

„Eskapismus, ruft ihr mir zu / vorwurfsvoll. / Was denn sonst, antworte ich, / bei diesem Sauwetter!-, / spanne den Regenschirm auf / und erhebe mich in die Lüfte“ (Hans Magnus Enzensberger, Der Fliegende Robert)

Wenig verblüffend legt der Tourismus gerade in Krisenzeiten wie der unseren zu. Gäste sparen zwar meist an einzelnen Ausgaben, nicht jedoch am Urlaub an sich. Andere Branchen – vor allem die traditionellen Leit-Industrien – humpeln, der Tourismus aber klettert auch jetzt zu neuen Rekordmarken hoch (wobei viele Betriebe dringend ihre Wertschöpfung erhöhen müssten, um die massiven Belastungen stemmen zu können).

Die Krisen-Robustheit darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich der Tourismus gerade stark verändert – nicht nur in seiner Governance, in seinen organisationalen Strukturen und Aufgaben, sondern auch in der Produkt-Semantik. Die neue Aufmerksamkeits-Ökonomie dreht sich nicht mehr um Superlative, um Steigerung und Addition, sondern um (subtile) Reduktion. Es geht primär um nach innen gerichtete Prozesse – bei Menschen wie bei Organisationen (und erst dann um KI-personalisierte Angebote), um Beziehungen und Resonanz. So wie Menschen ihr Immunsystem krisenfest machen sollten, so müssen sich auch Destinationen in Transition ganzheitlich stärken.  

Wohin sich die touristische Produkt-Semantik verändert:

Destination Ich
Persönliches Wachstum ist, quer durch die Consumer Foresights, das wichtigste Sehnsuchtsmotiv der Menschen. Reisen soll zur persönlichen Entwicklung beitragen, nirgendwo ist mehr „me time“ wie dort. Dieses zentrale Bedürfnis der Gäste erfordert wertige und personalisierte Verwöhn-Kulturen (bei Ambiente wie Dienstleistungen).

Aber: Wo es primär um Selbst-Fürsorge und Achtsamkeit (sich selbst und der Welt gegenüber) geht, hat Chichi keinen Platz. Finesse in der Ausgestaltung von Produkten und Services – das ja, aber bitte unprätentiös in der Darbietung. Entspannt soll es zugehen: mehr Dopamin, weniger Adrenalin. Die Destination Ich funktioniert freilich nicht ohne das „Du“. Denn Glück ist immer ein soziales, entsteht in der Interaktion mit anderen Menschen. Touristische Narrative sind dort besonders anziehend, wo sie das Ich ins größere Ganze einbetten und beide zum Leuchten bringen.

Holistic Health
Je turbulenter die Zeiten, je mehr das individuelle wie kollektive Immunsystem angeschlagen sind, desto attraktiver wird ein gesunder Lebensstil. Ob Nature Healing, individuelle Detox-Programme, Schlaf-Retreats oder Fastenkuren – Prävention und Lebensstil-Management sind aus dem touristischen Sortiment von morgen nicht mehr wegzudenken. Gesundheit wird dabei längst ganzheitlich verstanden – individuelle und planetare Gesundheit gehen Hand in Hand. Vor allem die jungen Generationen – häufig psychisch angeschlagen durch die vielen Krisen – kümmern sich verstärkt um ihre Psyche. Generell steht bei 20% der Reisenden im Urlaub die mentale Gesundheit im Vordergrund (Hilton Annual Trends Report 2025).

Zufälle wollen geplant sein
Je mehr die KI individuelle Angebote ausspielt, desto langweiliger kann das touristische Angebot rüberkommen. Wo der Zufall ausgehebelt wird, fehlt die (positive) Überraschung, fehlt die Magie. Schon gar wenn es um menschliche Begegnungen geht. Aber wie schon Dürrenmatt sagte: „Je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall treffen“. Ein kuratierter Tourismus verbindet daher Plan mit Überraschung, Sinn mit Leicht-Sinn, das Schwere mit dem Leichten.

2 Kommentare zu “Das kuratierte Urlaubsglück  

  1. Gerald Grossbauer

    Ich verfolge Ihren Blog stets mit großem Interesse, lese den aktuellen Beitrag mit Fragezeichen in meinenGedanken: Ist diese „Destination ich“ tatsächlich so ein Hype? Ich erinnere mich auch, wie sehr man während der Hochzeiten der Pandemie meint, dass sich „danach“ die Welt des Reisens verändern würde. Ist es so? Ich lebe (aus Tirol kommend, wo ich den Tourismus beruflich und als einer der Bereisten erleben durfte) nunmehr in München und denke nur an die Horden, die kein verlängertes Wochenende auslassen, um vollkommen sinnentleert in Richtung Gardasee stauen um dann dort bei Aperol 300.000 andere Münchner sehen, nicht ohne am See wieder stauend im Auto zu verbringen. Und wenn ich an diese Horden denke, die wegen irgendwelcher Influencer, die tolle Fotos von ehemals idyllischen Bergseen gepostet haben, genau dort hin fahren, wo sie unter Garantie abermals auf Ströme treffen, die mittlerweile reguliert werden müssen, weiß ich auch nicht, ob es wirklich diese große Selbsterfahrung ist, der die Leut‘ nachjagen. Vielleicht aber trügt mich auch mein Gefühl.

    • Andreas Reiter

      Lieber Herr Grossbauer,

      zuerst danke für Ihr Interesse.

      Sie sprechen das Phänomen des Overtourismus und des Mainstream-Tourismus an (diesen würde ich auch so kritisch wie Sie sehen). Ich habe mich in diesem Beitrag hingegen explizit auf touristische Entwicklungen bezogen, die auf INNERES Wachstum setzen (und dies schließt automatisch Massentourismus aus), auf mentale Gesundheit u.a. Auf einen qualitätsvollen Tourismus also (zugegeben auch höherpreisigen – aber das entspricht ja auch der Ausrichtung vieler österreichischer Destinationen). Die „Destination Ich“ erfordert eine achtsame Produktkultur und besondere Orte (und dazu gehört der Gardasee leider nicht).

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