Wenn Naturkatastrophen wie Tsunamis, Erdbeben u.a. über die Menschen hereinbrechen, geht Leid meist einher mit dem Gefühl der Ohnmacht. Da aber Naturkatastrophen offensichtlich mit zur Evolution gehören, passen sich die Menschen zwangsläufig auch an Krisen an. Naturkatastrophen lassen sich zwar nicht vermeiden, ihr oft schreckliches Ausmaß lässt sich jedoch durch vorbeugende Maßnahmen und Frühwarnsysteme stark begrenzen. Gegen Flutwellen schützt der Bau von Deichen, bei Erdbeben können – durch seismografische Frühwarnung – betroffene Gebiete rechtzeitig evakuiert werden usf.
Naturkatastrophen haben somit nicht nur (leider) meist viele Opfer, sondern eben auch Gewinner – mal ganz abgesehen von Rückversicherern und Hollywood-Blockbustern wie The Day After Tomorrow. Die Evolution belohnt die Anpassungsfähigen – jene, die intelligente Early Warning-Systeme entwickeln, Wasseraufbereitungsanlagen, smarte Landmaschinen (die Pflanzen selektiv ernten, auf Daten von Satelliten reagieren) einsetzen oder andere innovative Produkte, mit denen sie der Natur trotzen.
Wie man Natur-Gefahren austrickst, zeigen uns beispielhaft die Niederländer. Mehr als ein Viertel des Landes liegt unter dem Meeresspiegel, zwei von drei Bewohnern leben ebenfalls unter dem Meeresspiegel. Die ständige Bedrohung durch Überschwemmungen gehört somit ebenso zum Alltag wie die Kreativität, dem Hochwasser zu trotzen.
In niederländischen Städten gibt es nicht nur Busse, die schwimmen können („Schwimmende Holländer“), sondern auch schwimmende Häuser (auf Schwimmkörpern aus einer wasserdichten Betonwanne, an Pfählen befestigt, damit das Haus nicht wegtreibt). In Amsterdam besteht ein ganzes Viertel aus schwimmenden Häusern, die untereinander mit Stegen verbunden sind, im alten Hafen von Rotterdam sollen weitere Stadtteile mit schwimmenden Häusern entstehen. Floating Homes – die findigen Niederländer bleiben mit ihrer Amphibien-Architektur immer oben auf.
Wo die Natur brutal zuschlägt, muss der Mensch seine Behausung schützen. Japanische Hochhäuser mit Stahl-Skelett-Bauten trotzen selbst schweren Erdbeben (sie nehmen die Schwingung auf und gleichen sie elektrohydraulisch aus). Wie man im Katastrophen-Fall Opfern effizient helfen kann, zeigt der japanische Star-Architekt Shigeru Ban: er baut in Krisenregionen – temporäre – Gebäude aus Karton, Notunterkünfte aus Pappröhren – High Tech trifft hier auf High Care.
Seilbahn: vom Berg in die Stadt
Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch, wusste schon der Dichter Hölderlin. Was macht ein Seilbahn-Unternehmen (wie z.B. der österreichische Weltmarktführer Doppelmayr) angesichts drastischer Umweltveränderungen, steigender Naturgefahren und vor allem sinkender Schneesicherheit in den Alpen? Es diversifiziert das ursprüngliche Kerngeschäft – die Errichtung von Seilbahnanlagen in Wintersportgebieten – und positioniert sich als genereller Mobilitäts-Anbieter, der u.a. den Stau in Großstädten wirksam bekämpft.
Rechtzeitig zur Eröffnung der Olympischen Spiele in London wurde sie fertig gestellt – die erste Seilbahn Großbritanniens, die „Emirates Air-Line“ über die Themse. Urbanen Seilbahnen gehört, als wichtiger Bestandteil im Mobilitätsmix, die Zukunft: schnell, platzsparend, Ressourcen-schonend. Nach Singapur werden nun von Doppelmayr zwei weitere Großstädte mit Seilbahnen verbunden – die beiden benachbarten Städte La Paz und El Alto in Bolivien.
Wein im hohen Norden
Die Erderwärmung bringt nicht nur Verlierer, sondern auch Gewinner hervor. Die Vegetationszonen verschieben sich, mediterrane Pflanzen wachsen plötzlich nördlich der Alpen, neue Anbaumethoden ermöglichen künftig auch im hohen Norden Lebens- und Genussmittel, die früher nur im Süden denkbar waren. Schon heute gelten Kartoffel, die neuerdings in Grönland (wieder) angebaut werden, als Delikatesse in Haubenrestaurants.
Infolge des Klimawandels wandern die Reben über den 52. Breitengrad, der bislang als nördliche Grenze für den Weinbau galt. Schon jetzt ist dieser fundamentale Wandel zu beobachten: einst typisch südliche Reben wie Cabernet Sauvignon, Merlot oder Chardonnay gedeihen heute auch weit nördlich der Alpen. Seit einigen Jahren wird Wein in Mecklenburg-Vorpommern angebaut, in Norwegen und Südschweden, ja selbst im verregneten Großbritannien. Weitsichtige Produzenten aus dem Süden nehmen den Klimawandel proaktiv auf: französische Champagner-Hersteller haben sich neue Anbauflächen in England gesichert, australische Winzer orientieren sich nach Tasmanien. Und für manche – niedrig gelegenen – Alpen-Destinationen könnte die Devise lauten: der Skilehrer geht, der Winzer kommt.
Dieser Text ist ein Ausschnitt von Statements von Andreas Reiter in der neuen Ausgabe von “2012. Das vielleicht letzte Magazin der Welt” aus dem Media House Red Bull zum Thema Naturkatastrophe
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