Paradoxien kennzeichnen das frühe 21. Jahrhundert. Je fluider die Gesellschaft wird, je nomadischer die Biografien, desto stärker rückt die (kultur-)räumliche Identität wieder in den Vordergrund. Zukunft braucht bekanntlich Herkunft. Das Bedürfnis nach Verortung war selten so stark wie heute: 64 Prozent einer jüngsten Umfrage in Deutschland (INS/DER SPIEGEL) erklärten, Heimat hätte für sie in Zeiten der Globalisierung eher an Bedeutung gewonnen.
Obwohl seit vielen Jahren an der europäischen Identität gebastelt wird, ist diese – trotz Erasmus – noch nicht wirklich ausgeprägt. Europa ist der mentale Überbau, aber vom Herzen der meisten zu weit entfernt. Für die Mehrzahl der Bürger steht immer noch die kleinräumige Markierung im Vordergrund, der Gartenzaun ums Ich. Nichts verkörpert diese Heimat so sehr wie der eigene Wohnort, die eigene Region. Diese sind das Epizentrum der Emotionen, hier verschränken sich persönliche und kollektive Identität. Hier bin ich Mensch, von da komm ich her. Das Ganze (also Europa) mag zwar mehr als die Summe seiner Teile sein, die Teile (die Regionen) aber beanspruchen für sich, selbst das Ganze zu sein.
Das Europa der Regionen entfachte in den letzten Jahren nicht nur einen intensiven Wettbewerb um Talente, Investoren und Fördermittel, sondern auch einen Wettbewerb der Images. Wer hat die strahlendste Marke im ganzen Land? Wer das schillerndste Logo, den markigsten Claim?
Branding bündelt in erster Linie Identitäten und Kernkompetenzen zu einem unverwechselbaren Profil, verpackt dieses dann in eine emotionale Geschichte. Nach dem schon fast historischen Claim „Wir können alles. Außer Hochdeutsch“ (Baden-Württemberg) ist es verdächtig still geworden in vielen Regionen. So unübertrefflich in der Standort-Kommunikation Baden-Württembergs wirtschaftliche Exzellenz und humorvolles Understatement verschmelzen, so beliebig kommen viele andere Regionen daher, z.B. „Fürs Leben gern“ (Allgäu), „Wir stehen früher auf“ (Sachsen-Anhalt), oder aber sie treten erstaunlich defensiv auf wie Hessen („An Hessen führt kein Weg vorbei“).
Nein, eine Image-Kampagne allein macht noch keine Region. Entscheidend sind vielmehr schlagkräftige Netzwerke vor Ort, die kontinuierliche Weiterentwicklung der Kern-Kompetenzen, ein hoher Output an Innovationen. Besonders in kleineren ländlichen Regionen gerät dieses Local Sourcing oft zur Absichtserklärung. Ein erfolgreiches Gegenbeispiel ist etwa das Modell der Genussregionen in Österreich, in denen an Hand eines kulinarischen Leitprodukts regionale Identität und unternehmerische Performance überzeugend verknüpft werden.
Das Management regionaler Identitäten ist immer auch ein Balanceakt zwischen Innen und Außen, zwischen dem Fremden und dem Eigenen. Aus diesem Balancing resultiert auch der anhaltende Boom der regionalen Produkte, der Slow Food und Slow Fashion-Produkte – die Lederhose ist auch (aber dann mehr als) ein Antiglobalisierungs-Reflex, der Trachtenjanker mit Swarovski-Steinchen verziert, der Filzpantoffel oder der Birnenschnaps aus dem Nachbardorf sind Identitäts-Accessoires und identitätsstiftende Anker-Produkte.
Für das regionale Branding bricht – meiner Einschätzung aus der Praxis nach – aber nun eine neue Phase an: innerhalb der regionalen Marke wachsen vermehrt Mikro-Labels heran, wie wir sie bereits in der Weinwirtschaft mit dem Terroir erlebten, oder gerade in Metropolen, wo städtische Mikrokosmen zu attraktiven Sub-Brands werden können (z.B. Berlin-Friedrichshain). Mikro-Labels (etwa lokaler Produzenten) bilden kleinräumige Identitäten ab, sind extrem differenziert, haben ein klares Profil, das draußen in der Welt der Nicht-Orte hohe Image-Werte verspricht. Strategisch gut verzahnt mit der (größeren) regionalen Marke, stärkt das beider Strahlkraft.
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