In unserer flüssigen Arbeitswelt zerfließen die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit, Performance und Spiel. Die Digitalisierung macht Arbeit zunehmend ort- und zeitlos. Menschen arbeiten in der Digitalen Moderne mehr denn je multilokal und situationselastisch – im Büro, von unterwegs aus, im Coworking Space, im Home Office usf. – schon heute werkelt bereits über die Hälfte der weltweit Beschäftigten mindestens 2,5 Tage außerhalb ihres Büros (IWG Global Workspace Survey, 2019).
Die Dezentralisierung der Arbeit geht einher mit ihrer Flexibilisierung. Anytime, anywhere. Noch stemmen sich die Verteidiger der alten Ordnung mit Regulatorien wie Arbeitszeiterfassung etc. gegen die neue Unordnung. Eine digitale Plattform-Ökonomie, in der Wertschöpfung branchenübergreifend und ubiquitär generiert wird, erfordert jedoch flüssige individuelle Modelle. Die digitale Transformation ist in erster Linie eine kulturelle: Unternehmen werden zu agilen Organisationen, aus vertikalen Hierarchien und Ab-Teilungen bilden sich flexible, projektorientierte Netzwerke, die virtuell gesteuert werden. Die Grenzen zwischen Angestellten und Selbständigen sind fließend („Intrapreneurship“). Output ersetzt Präsenz, individualisierte Job-Modelle (4-Tage-Woche, Tandem-Jobs etc.) setzen sich künftig verstärkt durch.
Der wahre Paradigmenwechsel aber erfolgt durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz und Automatisierung. Sprach-Assistenten, Bots und Algorithmen übernehmen immer mehr operative Tätigkeiten im Job – die Rollen zwischen Mensch und Maschine werden neu verteilt. KI schafft nicht nur, sondern kostet auch Jobs – seriöse Prognosen gehen von ca. 10 Prozent aus, wobei hier auch – zumindest bis 2030 – der demografische Wandel abgefedert wird. Teamwork von morgen bedeutet somit auch ein neues Co-Working, ein Zusammenspiel von Mensch und Künstlicher Intelligenz, Robotik & Co. – darauf sind viele Organisationen noch nicht wirklich vorbereitet.
Wenn Arbeit zunehmend ort- und zeitlos wird, dann verändert sich auch der Arbeits-Ort. Die Arbeit zieht ebenso ein in unsere Freizeit wie auch umgekehrt. Arbeit wird decodiert und in einer kreativen Wissensgesellschaft mit spielerischen (Freizeit-)Elementen aufgeladen. „Arbeit hat ihren Ort gewechselt, vom Universum der Ordnung und Zukunftskontrolle ins Reich des Spiels“ (Andreas Reckwitz).
Hybride Workspaces entstehen, kreative Mischformen zwischen Büros und Freizeitparks, Klosterzelle und Espressobar – smarte Technologien sind dabei immer (unsichtbar) eingebettet. Eine intelligente Umwelt korrespondiert mit der individuellen Arbeitssituation des Users. So passt sich z.B. der Smart Desk dem jeweiligen User-Profil an, reguliert entsprechend die Tischhöhe oder gleicht die empfohlene Sitzdauer mit Gesundheitsdaten ab. Technologie wandert aber auch in unseren Körper, etwa in Form von in die Haut implementierte Mikrochips, die u.a. als multifunktionale (Bezahl-) Karte dienen, wie sie inzwischen bei einigen Unternehmen wie z.B. TUI Schweden bereits im Einsatz sind. Ja, die Umwelt wird intelligenter, der Mensch nicht selten dümmer.
Arbeitsorte spiegeln immer die DNA eines Unternehmens, seinen Spirit. Die „Logik des Besonderen“ (A. Reckwitz) erfasst naturgemäß auch die Orte der Produktivität, bestimmt das Place Making. Büros sind Dritte Orte, hybride Werkstätten, die Identität stiften, die Identifikation mit dem Unternehmen stärken und die Kreativität der Mitarbeiter fördern sollen. Denn diese ist das kostbarste unternehmerische Gut und die wichtigste Kulturtechnik der disruptiven Digital-Moderne.
Büros sind – mit ihren kollaborativen, temporären Raumkonzepten – Spielräume für Kommunikation, kreativen Austausch, gemeinsames Lernen, um die Transformation wirksam zu gestalten. All dies spiegelt sich im Interior-Design und in flexiblen Raum-Szenarien, in einer Balance zwischen Räumen des Austauschs und des konzentrierten Rückzugs.
Büros der Zukunft sind in erster Linie gespeicherte Unternehmens-Energie, atmosphärisch Hotel-Lounges und Clubs ähnlich. Ein derartiges Wohlfühl-Ambiente ist, neben der flexiblen, multilokalen Arbeitsgestaltung (mal hier, mal dort) auch eine Grundbedingung für Mitarbeiterzufriedenheit und Arbeitgeber-Attraktivität.
Doch eines ist – bei aller Wohlfühl-Atmosphäre – klar: die Kreativität ist kuratiert, steht immer unter einem „Purpose“. Künstliche Intelligenz und Sensoren tracken die Mitarbeiter am Arbeitsplatz, evaluieren deren Performance. Eine permanente Selbstoptimierung der Mitarbeiter ist die Folge. Um den dabei entstehenden Stress zu minimieren, setzen Unternehmen künftig auf individualisierte, algorithmisch entwickelte Health-Angebote – Wohlbefinden und Produktivität hängen ja ursächlich zusammen. Die Ausgestaltung einer ebenso mitarbeiterfreundlichen wie Output-orientierten Employer Journey entscheidet über den Erfolg von Organisationen.
Diese Employer Journey muss jedoch immer wieder an sich verändernde Mindsets angepasst werden. So haben etwa die Generationen Y und Z andere Anspruchshaltungen gegenüber Unternehmen und eine andere Vorstellung von Arbeit. Von attraktiven Unternehmenskulturen erwarten sich die jungen (Post-)Millennials insbesondere Sinnerfüllung, individualisierte Arbeitsmodelle, persönliche Weiterentwicklung. Work Hard, Play Hard war gestern. Work Smart ist morgen. Denn da gilt mehr denn je: erfüllte Arbeitszeit ist erfüllte Lebenszeit.
Dieser Beitrag beruht auf einem Vortrag, den Andreas Reiter im Rahmen der Paperworld auf der Messe Frankfurt im Januar 2020 hielt.
Links:
www.threefoldarchitects.com
http://www.anahartwich.com
Andreas Reiter im Interview mit der „Kleinen Zeitung“ über die neue multilokale Arbeitswelt
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