In Europa nimmt die Fragmentierung zu, der Graben zwischen den hoch verschuldeten Staaten im Süden und den prosperierenden im Norden wächst. Der Riss geht aber nicht nur quer durch die Gesellschaft, sondern auch mitten durch ein- und dieselbe Generation.
Während in wohlhabenden Ländern wie Österreich oder Deutschland die Generation Y – also die nach 1980 Geborenen – im Job vor allem sich selbst verwirklichen will, geht es bei vielen ihrer Alterskollegen in den Krisenstaaten ums nackte Überleben. Ist in den Mittelmeerländern die Lage am Arbeitsmarkt generell trostlos, so implodiert unter den Jungen die Arbeitslosigkeit geradezu: in Griechenland sind derzeit 59,1 Prozent der unter 25-Jährigen ohne Arbeit, in Spanien sind es 55,9 Prozent, in Portugal und Italien sind knapp vier von zehn jungen Leuten arbeitslos. Stabilität und soziale Sicherheit sehen anders aus.
Bringt die Schuldenkrise eine „verlorene Generation“ hervor? Werden im Süden Europas in gewaltigem Ausmaß Talente vernichtet? Bilden Spanien und Griechenland die künftigen Fachkräfte für den reichen Norden aus? Die Frage nach den Gewinnern und Verlierern dieser Entwicklung ist nicht eindeutig zu beantworten.
Für die maroden Süd-Staaten ist die dramatisch hohe Arbeitslosigkeit speziell ihrer Jugend folgenreich: vor allem Hochqualifizierte verlassen mangels Perspektiven ihr Land und suchen ihr Glück anderswo. Ein Aderlass, der den eigenen Standort auf Dauer schwächt und die soziale Schieflage weiter verstärkt. Europaweit verursacht die Jugendarbeitslosigkeit einen Schaden von ca. 118 Milliarden Euro. Jeder zweite Schulabgänger in Griechenland denkt, laut Umfrage, ans Auswandern. Solange in den Heimatländern keine neuen zukunftsträchtigen Wachstums-Branchen wie Green Tech oder Life Science aufgebaut werden, werden die einmal Ausgewanderten wohl kaum wieder zurückkommen – Olivenöl und Sonnenschirme allein machen keinen Staat.
Für die jungen Krisenflüchtlinge hingegen ist der grenzenlose europäische Arbeitsmarkt ein Glücksfall – die wirtschaftlich dynamischen Länder empfangen sie mit offenen Armen. Nicht umsonst werben deutsche und österreichische Unternehmen aktiv auf Job-Messen in Südeuropa um junge Fachkräfte (gesucht sind nicht nur Krankenpfleger, sondern auch Elektriker, Mechatroniker u.a.). 2012 wanderte insgesamt über 1 Million Menschen in Deutschland ein, die meisten zieht es in die großen Ballungszentren in Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Aber auch kleine Gemeinden, die an Fachkräftemangel leiden, können von den Migranten profitieren – so umwirbt das oberfränkische Wunsiedel etwa – für eine Kleinstadt verblüffend – strategisch Fachkräfte in Spanien mit speziellen Incentives (günstige Miete etc.).
Noch nie hat es eine so gut ausbildete Generation an Zuwanderern – an Fachkräften wie an High Potentials – gegeben. Die Wirtschaft in den Wachstumsländern profitiert von dieser mediterranen Völkerwanderung nachhaltig – die Länder nördlich der Alpen werden bunter und dadurch auch wettbewerbsfähiger.
Schon einmal, in den 1960er Jahren, spülte eine starke Einwandererwelle Arbeitskräfte en masse aus dem Süden heran und machte das Wirtschaftswunder erst möglich. Im Gegensatz zu ihren Großeltern ist die heutige Migranten-Generation jedoch meist gut ausgebildet (beinahe die Hälfte der jungen Auswanderer sind Akademiker), beruflich ambitioniert und, wie viele ihrer Altersgenossen in Europa, international ausgerichtet – Europa ist ihnen durch Städtetrips, Erasmus und Praktika vertraut. 84 Prozent der Jungen, so die letzte Shell-Jugendstudie, verbinden mit Globalisierung vor allem die Freiheit, in der ganzen Welt reisen, studieren und arbeiten zu können. Es ist paradox: während die wirtschaftliche Entwicklung in vielen europäischen Ländern asynchron verläuft, wächst Europa andererseits durch den gemeinsamen Arbeitsmarkt wieder stärker zusammen.
Um nicht nur kurzfristig als Krisengewinnler dazustehen, ist von der Politik strategisches Talente-Marketing gefordert. Auch in Österreich wird – endlich – eine Talente- und Fachkräftestrategie politisch umgesetzt, nachdem man dieses Thema – Migration als Recruting – lange fahrlässig verschlafen hatte. Die Rot-Weiß-Rot–Karte ist – bei aller berechtigten Kritik an einzelnen Zulassungskriterien – ein erster Schritt, gut ausgebildete Arbeitskräfte aus Drittstaaten anzuziehen. Denn auf diese ist Österreich mit seinem demografisch bald ausgedünnten Arbeitsmarkt (2030 sind hierzulande schon mehr als 30 Prozent über 60 Jahre alt) morgen mehr denn je angewiesen. Es sind schließlich meistens die Besten, die gehen um zu bleiben.
Die jungen Krisenflüchtlinge aus dem Süden sind die Vorboten einer neuen ambitionierten Einwanderer-Generation, die Europa verändern wird. Wer sie nicht mit offenen Armen empfängt, kann seinen Laden zusperren. Oder einen historischen Themenpark aufmachen.
Dieser Beitrag erschien in seiner ursprünglichen Form als Trend-Kommentar von Andreas Reiter im Heft 04/2013 „Österreichs Energie“, (http://oesterreichsenergie.at/) dem Magazin der österreichischen E-Wirtschaft, und wurde hier leicht modifiziert.
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