Cindy Crawford hat eines – ein Muttermal. Dieser vermeintliche „Schönheitsmakel“ über der Lippe wurde ihr Markenzeichen und ist bis heute ein Eyecatcher. Selbst in Hollywood gilt das Perfekte, das Durchgestylte inzwischen als langweilig.
Für Städte gilt dies erst recht. Feel the difference! Natürlich schätzen wir die atmosphärische Schönheit von Städten, den Magnetismus eines belebten Marktplatzes, die Symmetrie eines Boulevards, die futuristische Kühnheit eines modernen Gebäudes usf. Aber gleichzeitig reichen fünf Minuten auf einer mitteleuropäischen Einkaufsstraße und uns schwirrt der Kopf vor dem globalen Einheitsbrei der Mainstream-Marken und Flagship-Stores.
Nachdem wir unsere Städte in den letzten Jahren Viertel um Viertel geliftet und den öffentlichen Raum mit Grünzonen, adretten Stadtmöbeln und Waterscapes zur Public Lounge umfunktioniert haben, nachdem Romantiker jeden zweiten Laternenpfosten mit ihrem bunten Strickwerk verzierten (Urban Knitting) und gut erzogene Familienväter Gemüsebeete auf einstigen Autoabstellplätzen hochzogen (Urban Gardening), wenden wir uns nun – aus strategischen Gründen – den Hinterhöfen zu. Denn dort, in den postindustriellen Fabrikhallen und zugigen Werkstätten an der Peripherie wird an der Zukunft gebastelt. In Friedrichshain und Hernals, in East London wie in Istanbul-Cihangir.
Innovation kommt nicht aus den Chefetagen in der City, sondern meist von den Rändern, von dort wo die bunte Phantasie auf graue Mauern trifft und das Provokante auf das Provisorische. Ja, unterm Pflaster wächst auch 2013 noch der Strand. Die Kreativen sind nicht nur ein wichtiger Wertschöpfungsfaktor der Wissensgesellschaft, sie sind auch die Speerspitze der Stadtraum- und damit Immobilienentwicklung, die Trojanischen Pferde der Aufwertung des öffentlichen Raums. Die ästhetische Performance einer Stadt ist bekanntlich ein wichtiger Standort- und Imagefaktor. Ebenso wichtig ist es aber auch, periphere und prekräre Räume – neben der Gentrifizierung – zu bewahren. Die Peripherie ist das Muttermal im sonst zu perfekten Gesicht. Was täte Berlin ohne seine maroden Hinterhöfe, ohne seine leistbaren Werkstätten für Kreative? Die Stadt würde zur Beliebigkeit „vermittet“ und ihrer Schwäche (die ja eine Stärke ist) beraubt – viele Jahre als „arm aber sexy“ durchgewinkt, hat sich Berlin in letzter Zeit als der Hub für die Start-up-Kultur gemausert, nach dem Sillicon Valley gibt es nirgendwo so eine Dichte an jungen IT-Firmen. Das Image macht die Begehrlichkeit macht das Image.
Wo sich die Gesellschaft verändert, in neue Möglichkeiten aufbricht, brechen auch ihre Räume auf, werden mit neuen Funktionen ausgefüllt. Stadträume werden zu interaktiven Spielplätzen, aus Kirchen werden Klettergärten (etwa in den Niederlanden) oder Restaurants wie das „Glück und Seligkeit“ (Bielefeld). In leerstehende Geschäftsflächen in der Vorstadt ziehen – strategisch gelenkt – Designer und Wissensarbeiter ein, Galerien und Science-Labs u.a. Alles räumliche Umcodierungen, die erst allmählich ihre Ernte einspielen. Kreative Leitmilieus treibt auch als Stadt-Konsumenten die richtige Mischung aus Inspiration und Irritation. In der Mode (Raw Denim) und im Interior-Design (Shabby Chic), aber immer öfter auch in touristischen Produkten ist der Wertewandel zu spüren – wenn es um Luxus geht, dann bitte um Rough Luxury (Best-Of das Rough Luxe Hotel in London: „Half rough, half luxury. A little bit of luxury in a rough part of London. A little bit of rough in a luxurious London“). In Berlin erfüllt das Cookie – der Name ist Programm – ja eine ähnliche Erwartungshaltung. Feel the Difference.
Austauschbare städtische Erlebnisräume wie die geklonten Waterfronts stehen genug herum in europäischen Städten – umso kostbarer Ausnahmen wie Glasgow Riverside: brüchiger. Echter. Das Rudimentäre zählt. Die Gebrauchsspuren. Die gespeicherte Identität. Und das bedeutet: Umwege auf sich nehmen. Die Hauptstraßen waren ja schon immer ein langweiliges Pflaster für moderne Performer. Wer mehr erkennen will, bewegt sich abseits des Mainstreams. Durch die Peripherie. Urbane Abenteurer wie die Place Hackers pirschen durch Industrieruinen, kraxeln auf Brücken und kriechen durch Kanäle – Erlebnis als Statusgewinn, Experience Value. Die Gebrauchsspuren. Das Muttermal. An der Peripherie der Städte.
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