Der Wettbewerbsdruck im Tourismus nimmt drastisch zu. Sinkende Aufenthaltsdauer, beschleunigte Urlaubszyklen (heute hier, morgen dort) und eine massive Konzentration starker Destinations-Marken erfordern eine klare Differenzierung vom Wettbewerb und damit die Forcierung – markenzentrierter – Innovationen.
Innovation ja – aber nur wenn sie die Marke stärkt
Wer Wachstum erzielen will, muss raus aus der Komfortzone und sich ins Ungewisse wagen. Erfolgreiche Unternehmen brechen Regeln, überschreiten Branchengrenzen und definieren ihre Märkte neu. Dies erfordert Kreativität, Mut sowie Fehler-Bereitschaft. Und ein Denken in Alternativen.
Denn Innovation ist der Wechsel vom Standbein zum Spielbein, von der Kernkompetenz hin zu neuen Profilfeldern – etwa wenn der Seilbahnbauer Doppelmayr sich als Mobilitäts-Anbieter in Städten (zuletzt etwa in London) positioniert, wenn der Garten-Architekt Patrick Blanc vertikale Gärten auf Häuserwänden wachsen lässt, wenn der Babynahrungshersteller Hipp vitalisierende Obstgläschen für Erwachsene produziert oder wenn sich der Autohersteller Daimler als Mobilitäts-Dienstleister definiert – mit Car2go, dem „ersten eigenen öffentlichen Verkehrsmittel“.
- Innovationen im Tourismus
Wie sieht es mit der Innovations-Kraft im (alpinen) Tourismus aus – einer Branche, die ja ihren Kunden stets „was Neues bieten“ und durch Kreativität und Emotion begeistern soll? Der Innovationsgrad des Tourismus kann schwerlich mit dem anderer Branchen (etwa den Start-ups im IT-Sektor) verglichen werden – zum einen aufgrund der
- (im heimischen Tourismus) vorwiegend kleinteiligen Strukturen und – damit verbunden – begrenzten Eigenmittel
- Komplexität der Entscheidungen und Interessensvielfalt (im Spannungsfeld Attraktion – Wirtschaftlichkeit – Natur / Umwelt – Werte – regionale Wertschöpfung usf.)
- Komplexität des „Produkts“, eines soft goods, bei dem es um die Erzeugung von Emotionen und Glücksgefühlen geht.
Die Innovationstätigkeit der Touristiker bezieht sich in erster Linie auf die Hardware (Hotellerie, Thermen, Seilbahnen etc.) und/oder auf die Service-Kette vor Ort. Die Kurzlebigkeit touristischer Lebenszyklen verstärkt die rein „ikonographische“ Produkt-Entwicklung – die Akteure begeben sich in den Wettbewerb der Symbole: die höchstgelegene Haubenküche, die steilste Skipiste der Alpen usf. Sie fokussieren dabei – zu sehr und zu ausschließlich – auf Attraktionspunkte. Diese sind zwar als Imageträger wichtig und ziehen vor allem Erstkunden an. Zur Wettbewerbsstärkung und Differenzierung auf den Märkten dienen sie jedoch nur selten. Fact ist, die Tourismuslandschaft reproduziert sich häufig selbst (denken wir nur an die neue Generation der cool gestylten Alm-Designerhütten, die alle unisono dem Cover von Wallpaper entsprungen sein könnten). Die Produkt-Semantik ist repetitiv– der erste Sky Walk in den Bergen ist noch interessant, der 24. langweilt.
Es überwiegen im Tourismus insgesamt inkrementelle Innovationen, die das Bestehende sukzessive optimieren: das Spa mit Cabriodach, die Fun-Therme mit der Mega-Speed-Rutsche, der Performance-Sensor auf der Skipiste, die VIP-Gondel im Luxus-Design des BMW-7er-Modells usf. Inkrementelle Innovationen werden schnell zu Basics, langfristig erreicht man darüber keine Wettbewerbsvorteile.
Radikale Innovationen – die den Markt verändern – sind im Tourismus selten. Die braucht es ja gar nicht, höre ich von so manchem Touristiker fälschlicherweise, wir haben genug damit zu tun, die Qualität in der Destination anzuheben. Es ist natürlich wichtig, die weichen Faktoren, die Ambiente- und Service-Leistungen laufend zu optimieren, doch das alleine reicht nicht. Erstens ist Urlaub mehr als nur ein Wohlfühl-Programm (und Fluchthilfe aus dem Alltag). Zum zweiten werden heute, mittels strategischem Service Design, die Bedürfnisse der Kunden ohnehin (zumindest in den Premium-Destinationen) meist sehr gut abgedeckt, Best-Of-Beispiel Serfaus-Fiss-Ladis, mit z.B. seinen Helping Hands.
Eine orchestrierte Performance aller Akteure ist viel wert – doch sie ist nur die Grundmelodie des Erfolgs. Nachhaltige Wertschöpfung erzielen nur Innovationen, die sich an den Sehnsüchten der Gäste ausrichten – und diese in markenzentriertes Story Telling verpacken. Erst im harmonischen Zusammenspiel weicher und harter Faktoren entsteht die Magie eines Ortes.
- Erlebnis-Prestige
Urlaub ist, so die Erwartungshaltung der Gäste, Paradies auf Zeit. Dieses Paradies gibt es, seit der Vertreibung von Adam & Eva nicht mehr, aber umso mehr sucht man es – im Extremen: dort, wo es ganz leise ist (wo man ganz bei sich ist) und dort wo es laut und fröhlich ist (unter anderen Menschen). Die touristische Dramaturgie hat somit zwei große Handlungslinien, zwei Story Lines: die Destination Ich und die Magie des Ortes, das Place Setting.
Um die Sehnsüchte der Gäste in neue Produkte zu übersetzen, müssen zwei Gefühlszonen aktiviert werden: Serotonin (Glück) und Adrenalin (Kicks). Die touristische Hardware (Hotel, Berg etc.) ist dabei die Bühne, auf der die Geschichte (Place Spirit) erzählt und der Gast als Mitspieler aktiviert wird.
Innovation auf gesättigten Märkten zielt insbesondere auf das Erlebnis-Prestige des Kunden ab. Dieses erfordert künftig mehr denn je ein außergewöhnliches Setting, das wenig mit herkömmlichem Luxus zu tun. Schließlich sind moderne Performer auf der Jagd nach exklusiven Erlebnissen, die ihr Ego emporheben. Diese sind die neuen Status-Symbole – eine codierte Form des Luxus (z.B. die First Track-Angebote, für die frühmorgens die Skipiste exklusiv für eine kleine Gruppe reserviert wird).
Dort, wo Erlebnisse Emotionen wachrufen und der persönlichen Differenzierung dienen, kommt Innovation ins Spiel. Und das Urlaubsglück. Darum: Innovate, don’t hesitate.
Andreas Reiter zum Thema: http://derstandard.at/1362107389322/Touristiker-auf-der-Suche-nach-Antiblockiersystem
Vortrag von Andreas Reiter bei den Kleinwalsertaler Dialogen über Innovation im Tourismus: http://www.ztb-zukunft.com/pdf/innovation_tourismus_.pdf
http://www.raiffeisenholding.at/files/20130328-rfraiffe-013-a-w.pdf
Tipp: Spannende Outdoor-Produkte für die Bergwelt entwickelt die italienische Designfirma leapfactory, z.B. ihre Mini-Lodge für Abenteurer (Fotos siehe Blogbeitrag): die Survival-Röhre ist schnee- und sturmsicher, enthält Schlafkojen für 2-12 Personen, Tische, Stühle, Toiletten und Waschbecken, Fotovoltaikanlage auf dem Dach: http://www.leapfactory.it
Alles richtig was Sie schreiben. Urlaub beginnt jedoch nicht in der Skidestination, sondern bereits mit dem Schließen der Haustür. D.h., der Urlauber wird beim organisieren der Anreise alleine gelassen und findet sich im Urlaubsstaustress wieder. Will heißen: Innovationen sollten nicht am Urlaubsziel anfangen, sondern nachhaltig die gesamte Urlaubsorganisation umfassen.
Bin da ganz Ihrer Meinung, Herr Harg. Urlaub umfasst die gesamte Prozesskette vom Moment der Information / Buchung bis After Sales… da sind Prozess-Innovationen, also höchste Service-Exzellenz gefragt
Ja absolut, das stimmt.