Kaum eine App hat zuletzt so stark eingeschlagen wie die von Runtastic. Intelligent konzipiert, kompakte Features, trifft die Fitness-Applikation einen zentralen Nerv der Gesellschaft: Selbst-Optimierung. Design yourself.
Eine kompetitive Gesellschaft (in der jeder stets „das Beste“ aus sich herausholen muss), will offensichtlich auch in der Freizeit die eigene Performance kontrollieren – wie schnell bin ich gelaufen?, wie viel Fett habe ich dabei verbrannt? usf. Self Tracking-Apps spiegeln das darwinistische Werteset der Gesellschaft wider: Survival of the Fittest. Body Forming und Perfektionismus gehen hier eine strategische Allianz ein – der Körper wird zum Vehikel der eigenen Identität, zur Marken-Botschaft. Der Philosoph Peter Sloterdijk erklärte dieses Phänomen wohl ganz zu Recht mit dem Verschwinden der Ideologien – dem Einzelnen bleibt nun nichts mehr als Leere und eine große Über-Idee: „Mach das Beste aus deinem Leben“, mach das Beste aus deinem Körper.
Auch wenn wir das schwachsinnige Marketing-Diktum von der „Ich AG“ der 1990er Jahre zum Glück hinter uns haben, so gehören Ego Tracking und das Messen der eigenen Performance heute dennoch mehr denn je zur Kulturtechnik, vor allem einer leistungsorientierten Jugend.
Die Jungen stehen von Kindheit an im Wettbewerb um Output und Aufmerksamkeit. Sie verfolgen entsprechend traditionelle Werte wie Leistung, Disziplin etc. Wohl noch nie stand eine junge Generation so unter Rating-Druck wie die heutige – von allen Seiten wird ihr in Ausbildung und Job Exzellenz (Qualität allein reicht nicht) abverlangt. Da kann man verstehen, dass die Jungen in ihrer kargen Freizeit nur „chillen“ wollen (und nicht die Welt verbessern). Sie delegieren diese Sehnsucht nach Serotonin und Entschleunigung an Event-Profis und lassen beim Clubbing Dampf ab (zirkulierten davon verräterische Fotos bislang in der Community, so verglühen diese heute via Snapchat gleich beim Empfang auf dem Smartphone-Display).
Rebellion? Radikal neue gesellschaftliche Entwürfe? Nein, Utopien kann man von dieser Jugend nicht erwarten, dazu wurde sie von ihren Eltern zu sehr verwöhnt und gepampert, quasi als Wellness-Airbag vor der harten Wettbewerbsgesellschaft draußen. Selten jedoch wurde eine Jugend so reibungslos auf Linie, auf Mainstream gebracht. Eine stromlinienförmige Generation wächst da heran, ambitioniert und fleißig, viele basteln strategisch an ihrer Karriere, immer mehr sogar am eigenen Start-up (dennoch sind rund sieben Prozent der 16-24-Jährigen selbst in Österreich „NEET“ = Not in Education, Employment or Training).
Die ergrauten Gesellschaftskritiker werfen den Jungen gerne Spießertum vor und drängen sie ins Öko-Biedermeier-Eck – ein bisschen Sharing Economy hier, ein bisschen NGO und Urban Farming dort. Ansonsten Happy Hour im Hotel Mama. Aber hallo! Da war doch noch was…
Kreativität! Die Jungen starten (bei uns) zwar keine Revolution, aber zünden dafür eine Kreativitäts-Rakete nach der anderen. Natürlich vor allem im Netz – allein die schrägen Preziosen auf Plattformen wie Tumblr zeugen von einer überbordenden Lust am Kreieren, am Schaffen – jenseits der weichgespülten Deko-Welten von Pinterest & Co., auf denen ihre Mütter Kochrezepte und Interior-Ideen austauschen. Man muss gar nicht erst auf die Creative Industry schauen – überall schießen gewitzte Business-Modelle aus dem Boden, freche Start-ups, und auch die gute alte Manufaktur, das Handwerk, rückt immer stärker mit wertigen Produkten voran.
Den Jungen bleiben zwei Experimentierfelder – das Netz und der Körper. Dort leben sie ihre Kreativität und Grenzgänge aus. Die Rebellion ist von der Straße längst in den Extremsport und in die Adrenalin-Tubes ausgewandert, an die schroffen Boulderwände, an die Big Waves und Surfspots im Atlantik, tief hinein in die Schluchten der Highliner. Freizeit-Inszenierungen werden zu Körper-Inszenierungen und Freizeit-Bühnen zu Körper-Arenen. Dort, in ritualisierten Events wie Fridge & Co., schlägt das Herz einer Performance orientierten Jugend.
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