Alles fließt, alles wird hybride. Gewohnte Gegensätze lösen sich auf, Grenzen verschwimmen – zwischen Stadt und Land, Zentrum und Peripherie, Arbeit und Freizeit, Öffentlichkeit und Privatheit.
Stadt und Land sind längst kein Gegensatz mehr, auch auf Grund der rasanten Urbanisierung: 2030 leben weltweit 61% der Menschen in Städten, in den Industrieländern sind es heute schon über zwei Drittel. Der Stadtplaner Thomas Sieverts hat dieses diffuse Etwas auf den Begriff der „Zwischenstadt“ gebracht und spricht von einer „verstädterten Landschaft, verlandschafteten Stadt“. Es wachsen aber nicht nur Lebensräume zusammen (ästhetisch wie funktionell) – sondern auch die Lebensstile der Stadt- und Landbewohner. In einer globalisierten Medienwelt werden ja alle von denselben Leit-Bildern beeinflusst, von Instagram und Facebook, von schwachsinnigen Vorabendserien und stromlinienförmigen Events.
Alles fließt ineinander – in dieser „flüssigen Moderne“ (Zygmunt Bauman) erodieren Identitäten und tradierte Lebensmuster. Urbane Hotel-Konzepte mischen alpine Destinationen auf (aus Mama Shelter wird Mama Thresl), futuristische Architektur (wie etwa Norman Fosters Chesa Futura in St. Moritz oder das neue Messner Mountain Museum am Kronplatz) perforieren die ländliche Postkarten-Idylle. Trendsportarten wandern von der Stadt ins Land (z.B. High Lining) und andere (z.B. Urban Climbing) wiederum von dort in die Stadt.
Der Lifestyle-Transfer zwischen Stadt und Land scheint mir vor allem für den städtischen Raum mehr Gewinn zu bringen als umgekehrt. Nature goes urban. Städte werden grüner – ob vertikale Gärten oder Roof Farming, ob Urban Gardening oder Nachbarschaftsgärten in Wohnsiedlungen, es entstehen zahlreiche innerstädtische Grünflächen und erlebnisorientierte Freizeitareale am Wasser. Grüne Symbol-Architektur – z.B. die begrünte High Lane (ehemalige Hochbahn) in New York, die Mountain Dwellings in Kopenhagen u.a. – unterstreicht den ökologischen Umbau vieler Städte.
Weltweit findet in Städten derzeit ein grüner Relaunch statt – kein Wunder, in den Metropolen entstehen ja auch die größten Probleme, die gelöst sein wollen (Kampf um knappe Ressourcen wie Raum und Energie; Verkehrskollaps, soziale Segmentierung usf.). Die „balanced city“ ist das städtische Leitmodell der Zukunft, die Stadt im Gleichgewicht: zwischen Urbanität und Natur, Smart Living und naturnahen Begegnungsräumen. Städte werden langsamer (die Walkable City ist nicht umsonst ein Leitbegriff der Urbanistik) und sie werden entspannter.
Dieser Werte-Transfer hin zum Slow Living schlägt sich natürlich auch im Interior-Design nieder: ob Naturmaterialien wie Holz und Stein, ob Pflanzen-Tapeten in Büros oder Eco-Design – die Renaturierung der urbanen (Lebens-)Räume schreitet voran. Kein Zufall, dass die Wiener Möbel-Manufaktur stuben21 ihr erfolgreiches Design-Konzept der Stube auch in die Metropolen bringt und für ein Town House in London Urban Chalets komponierte – hybrider Lifestyle at its best.
Man kann diese Osmose zwischen städtischem und ländlichem Lebensstil kritisch sehen (Wo bleibt die eigene Identität?), man kann aber auch eine gestalterische Kraft hinter hybriden Lebensformen sehen. In einer flüssigen Gesellschaft nimmt eben nicht nur die Unverbindlichkeit zu, es potenzieren sich auch die Möglichkeiten, die eigene Identität zu gestalten.
Dass das ländliche Leben in der beschleunigten Digital-Moderne mehr denn je eine Sogwirkung auf Städter hat, liegt auf der Hand. Der ländliche Werteraum (Tradition, Verankerung, Sicherheit usf.) ist ein ideales Schutzschild vor den Einschlägen der Digital-Moderne mit ihren systemischen Risiken. Hier die Langsamkeit und bedächtiges Wachstum, dort rasante Veränderung und Disruptionen.
Insbesondere die Natur wird in einer urbanisierten Welt zur Ersatzreligion, zum temporären Fluchtort für
- Premium-Aussteiger, die sich das Zweitleben auf dem Land leisten können und ihren städtischen Lifestyle ins Grüne transferieren
- temporäre Aussteiger (=Touristen), deren ungestillte Sehnsüchte sie in die „unberührte“ Natur führen.
Die Natur ist eine geduldige Folie für Antizivilisations-Mythen und damit eine Bühne für die eigene Selbstverwirklichung, für die Sehnsucht nach dem guten Leben. „Das Naturschöne ist dem Digitalschönen entgegengesetzt“, so der Philosoph Byung-Chul Han. Oder, um es mit einem Werbeclaim (Outdoor-Ausrüster Schöffel) zu sagen: Ich bin raus.
Dieser Beitrag fasst die Statements von Andreas Reiter beim Wiener Stubengespräch „Urban Chalet“ zusammen, vor kurzem veranstaltet von der Bank Julius Bär und der Möbel-Manufaktur stuben21
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