In ihrem Buch ‚Champagner für alle. Wie man in Würde altert ohne dabei erwachsen zu werden‘ beschreibt die Autorin Martina Wimmer eine nicht mehr ganz junge Frau beim morgendlichen Blick in den Spiegel: „Die leise Ahnung, es wird sich was ändern. Der laute Gedanke: Ich mach da nicht mit.“
Ich mach da nicht mit. Hier bahnt sich ein gesellschaftlicher Paradigmen-Wechsel an: vom Opfer zum Täter. Vom Ruhestand zum Unruhestand. Hier blitzt die biografische Agenda der 68er auf, das Identitäts-Management der ergrauenden Baby Boomer: Forever young. Warum sie mit 53 Jahren noch einmal antritt, wurde Deborah Harry, eine Ikone der Popmusik, einst bei ihrem Comeback gefragt. „Weil ich meine Jugend wiederhaben will und vor Tausenden von Leuten auf der Bühne herumhüpfen möchte.“
Wer sich in jungen Jahren gegen die verkrusteten Normen der Gesellschaft auflehnte wie einst die 68er, wird sich schließlich auch später nicht tatenlos abfinden mit dem Kreislauf der Natur – der da heißt: erst kommt das Wachstum, dann das Bewahren und am Ende das Schrumpfen. Werden die Silver Ager diese traditionelle Timeline und das Defizit-Denken aushebeln, das den Prozess des Alterns bislang meist bestimmt?
Aber was heißt schon alt? In einer hybriden Gesellschaft zerfließen alle Grenzen, auch jene zwischen den Altersgruppen, alles geht ineinander über – auch die einzelnen Lebens-Alter. Bisher galt in der Entwicklungs-Psychologie die lineare Dramaturgie: Kindheit – Jugend – Erwachsenenalter – Alter. Das biografische Script der Zukunft kann man in 5 Lebensabschnitte einteilen (©ZTB Zukunftsbüro):
- Kindheit/Jugend (0-25 Jahre)
- Postadoleszenz/Early Adults (26-44 Jahre)
- Reife Erwachsene (45-59 Jahre)
- Ältere Erwachsene (60-74 Jahre)
- Alter/Ruhestand (75+).
Diese Abschnitte überlappen sich natürlich teilweise – das Leben in der Postmoderne erfordert von Jung wie Alt eine erhöhte Anpassungsleistung („Lebenslanges Lernen“) und bietet dafür aber auch mehr gestalterische Optionen – und das immer stärker auch unabhängig vom biologischen Alter.
Erfinde dich neu. Die Selbstverwirklichung – jenseits der biologischen Grenzen, individuellen Verletzlichkeit und tradierten Vorstellungen – ist das Leitmotiv der ergrauenden Baby Boomer. Sie wollen ihre Rolle auch in späten Jahren selbstbewusst und aktiv gestalten. Nicht mehr die Jungen sind künftig die Treiber von Innovation, sondern die Älteren – nicht nur als Empfänger, sondern auch als Absender.
Damit die Silver Ager möglichst lange gestaltend am Leben in Wirtschaft und Gesellschaft teilhaben, müssen sie ihre Fähigkeiten in drei Bereichen laufend updaten:
- Know-How: die Älteren haben den Jungen zwar eines voraus: Erfahrungs- und Prozess-Wissen, dennoch bleibt Lebenslanges Lernen ebenso ein Pfeiler aktiven Alterns wie körperliche Zukunfts-Fitness
- Soziale Kompetenz: das soziale Kapital ist eine der stärksten Ressourcen der Alten, ob bei bürgerschaftlichem Engagement, Ehrenamt oder innerhalb ihrer sozialen Gemeinschaften/Familien
- Technologische Kompetenz: die Best Ager hinken hier naturgemäß den Digital Natives hinterher, aber auch sie wollen mitmischen in der Digital-Moderne: bei den über 65-Jährigen sind heute 71% online, davon immerhin 24% mobil (Quelle: A1). Technologische Kompetenz bedeutet nicht nur, mit dem Enkelsohn in Sydney via Skype zu kommunizieren, sondern auch neue Technologien im Beruf effizient einzusetzen. Digitalisierung und High-Tech-Assistenz erhöhen die Lebensqualität der Älteren.
Eines ist klar: die Silver Ager werden künftig bis ca. 70 Jahre arbeiten. Die einen wollen, die anderen müssen. Bei steigender Lebenserwartung und angesichts des demografischen Engpasses gilt es, das Gold in den Köpfen der Älteren zu heben und ihre Ressourcen zum Wohl von Wirtschaft und Gesellschaft anzuzapfen.
Vorbei die Kränkung des Golden Handshake mit 55, die Zukunft der Arbeitswelt gehört mit den Silver Workern. Bereits heute werden in weitsichtigen Unternehmens-Kulturen Arbeitsmodelle erprobt, die einen Know-how-Transfer zwischen Alt und Jugend ermöglichen (Tandem-Modelle, Senior Experten-Pools), Firmen wie Daimler, Bosch u.a. setzen ehemalige (pensionierte) Arbeitnehmer für spezielle Einsätze im In- und Ausland ein.
Das Schöne am Altern von morgen ist seine potentielle Vielfalt. Die traditionellen Alten werden auch künftig ihre Komfortzone genießen, die Spas und Golfplätze und Enkelgeburtstage. Die Silver Performer jagen mit ihren Self Tracking-Apps, Vitaminpillen und Bikes die Bergtrails hoch, die Rebellen unter den Silver Agern wiederum erfinden sich auch im vierten Lebensabschnitt neu – als Entrepreneure, im bürgerschaftlichen Engagement oder im Co-Housing, intergenerativen Wohnprojekten. Aus den Grufties und Kompostis von gestern werden Musterbrecher von morgen, die die Spielregeln neu festlegen.
Andreas Reiter hielt vor kurzem bei einer Enquete des Landes Tirols einen Vortrag über die Best Ager in der Digital-Moderne.
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