Städte sind bunte Soziotope, in denen die Zukunft jeden Tag aufs Neue entsteht – aus verrückten Träumen und absichtslosen Experimenten heraus, in Hinterhof-Studios, Start-up-Schmieden und… auch in der drückenden Enge so mancher Migranten-Wohnung.
Seit eh und je ist die Stadt ein Durchlauferhitzer für hoffnungsvolle Biografien, ein Versprechen auf eine bessere Zukunft. Städte leben von Migration, sie sind anthropologische Sehnsuchts- und Zielorte von Zuwanderern. Kamen diese früher meist aus der heimischen Provinz (z.B. der Schwabe in Berlin-Mitte), ja „Stadtluft macht frei“, so kommen sie heute immer öfter auch aus fremden Kulturen. Migranten zieht es meist magnetisch dorthin, wo schon die anderen leben, die Bekannten und First Mover aus der Heimat, an die man andocken kann. Die Arrival City (Doug Sanders) soll mit ihren dichten Netzen die Ankommenden auffangen.
In etlichen Städten europäischer Industrieregionen leben heute schon (VOR den Flüchtlingsströmen in 2015) beinahe gleich viele Menschen mit Migrationshintergrund wie Einheimische: in Offenbach sind es 58,4%, in Mannheim: 43,6%. London hat – als erste europäische Metropole – seit kurzem einen moslemischen Bürgermeister, Baden-Württemberg wiederum eine moslemische Landtagspräsidentin. Und nun mischen die Flüchtlinge die Stadt weiter auf.
Generell wird die Stadtgesellschaft fragmentierter und flüssiger: beschleunigte Lebensläufe, kürzere Job-, Partnerschafts- und Wohnzyklen treiben die Umbrüche in den Städten voran. Aber es ist vor allem die Migration, die das Gewebe der mitteleuropäischen Stadt verändert.
In einer global vernetzten Welt hängt die Qualität des städtischen Lebens wesentlich von einem agilen Diversitäts-Management ab, einem umsichtig gesteuerten Zusammenleben einheimischer und fremder Kulturen. Die gesellschaftlichen Veränderungen erfordern seitens der Stadt (Politik, Verwaltung, Stadtmarketing etc.) Investments in soziale Innovationen, von der Daseinsvorsorge über die Gestaltung sozialer (kleinräumiger) Prozesse, die Förderung von Social Business-Modellen bis hin zu einer strategischen Förderung der Talente unter den Migranten.
Damit kulturelle Diversität in Städten als Bereicherung (und nicht als Bedrohung) erlebt wird, müssen interkulturelle und zielgruppenspezifische Angebote und Kommunikation sowie (kurz-, mittel- und langfristige) Maßnahmen zur Integration aufeinander abgestimmt werden. Wie für andere Bürger und Touristen auch muss ein effizientes Touchpoint-Management für Asylbewerber entwickelt und, aus deren Augen heraus, die Kontaktpunkte (Ankommen – Einleben – Integration/ Inklusion) effizient gestaltet werden.
Dabei gibt es unterschiedliche Prioritäten. In der ersten Phase des Ankommens der Flüchtlinge geht es für diese um lebensnotwendige Dinge wie Orientierung (Welcome App etc.), Wohnraumbeschaffung (vom Pop-up-Container bis zur Wohnung, am besten serielle und modulare Bauten), Spracherwerb, Bildungs-/ Qualifizierungsangebote u.a. In der zweiten Phase, dem Bleiben, geht es um die sukzessive Integration in die Stadtgesellschaft, um Eingliederung in den Job-Markt etc. Eine Steuerung seitens der Kommune, eine Selbstorganisation der neuen Bürger gehen dabei Hand in Hand mit Cross-Partnerschaften von Kommune, Wirtschaft und Zivilgesellschaft.
Städte sind soziale Plattformen. Die Zivilgesellschaft und Unternehmen übernehmen in der Stadtgesellschaft einen starken Part – wenn man sie denn nicht behindert: da begleiten einheimische Mentoren Flüchtlinge beim Einleben (z.B. www.start-with-a-friend.de), oder heben, gemeinsam mit Unternehmen, die Potentiale von Zuwanderern, dort kümmern sich Unternehmer wie der Salzburger Gastronom Sepp Schellhorn vor allem um junge unbegleitete Asylbewerber, die er als Lehrlinge ausbildet. Ein Pionier ist hier auch das Caritas-Hotel magdas in Wien, das – eigenwillig und kreativ von der Nachbarschaft mit gestaltet – Migranten aus 14 Nationen beschäftigt, Social Business at its best!
Lebenswerte Städte gestalten Diversität auch sozialräumlich. Nur dort, wo Migranten auch am öffentlichen Raum teilhaben und diesen aktiv mitgestalten (in der Regel in kleinteiligen Quartieren), gelingt Integration. So wie in Superkilen/Kopenhagen, wo in einem urbanen Landschaftspark unterschiedliche Erlebniszonen geschaffen wurden (farblich akzentuiert: roter Platz als Marktplatz, schwarzer als Wohnzimmer etc.). Bei der Gestaltung dieser urbanen Begegnungsräume wurden alle Kulturen aus dem Viertel (dutzende Nationen) integriert: marokkanische Brunnen, türkische Bänke, japanische Kirschbäume, russische Neonreklamen usf. Eine derart diverse Bespielung des öffentlichen Raums ermöglicht Identifikation – mit dem Eigenen wie mit dem Fremden.
Öffentliche Räume sind immer auch soziale Räume, wo sich Beziehungen und Stadtleben entfalten können. Mal geht es dabei um Interaktion zwischen den Akteuren, mal um ein friedliches „Nichtbeachten“ der Anderen, um lässiges Ignorieren – auch das zeichnet eine moderne Stadt aus.
Dieser Beitrag fasst einen Vortrag von Andreas Reiter auf dem Hessischen Stadtmarketingtag 2016 im Mai 2016 zusammen.
Interessante Initiativen für Asylbewerber & Migranten in Städten:
Kreativ-Hotel & Social Business, beschäftigt Migranten aus 14 Nationen: http://www.magdas-hotel.at/home/
Tandempartnerschaften Einheimische-Asylbewerber: http://www.start-with-a-friend.de
Mentoring Unternehmen – Zuwanderer: http://impactdock.de/
Migranten & öffentlicher Raum: http://www.visitcopenhagen.de/de/copenhagen/superkilen-gdk707822
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