Future Tourism

Walk, don’t run

Touristiker sind Glücksdealer, sie handeln mit einem höchst emotionalen Gut: Flow. Dieses Glücksgefühl entsteht bekanntlich dann, wenn Menschen weder über- noch unterfordert sind, wenn sie sich wie in Trance in eine Tätigkeit vertiefen, in dieser aufgehen.

Wandern ist so eine glücksbringende Aktivität. Es gehört zur anthropologischen Grund-Ausstattung: gutes Essen, guter Sex und entspanntes Gehen – was will man mehr vom Leben? Jeder zweite Tourist, der im Sommer nach Österreich kommt, wandert (wie viele guten Sex haben, wissen wir leider nicht). Wandern ist kein hipper Lifestyle-Sport (allem viralem Marketing der Outdoor-Bekleider und all den schicken Softshell-Hosen zum Trotz) und wird dies auch nie sein. Wandern ist zeitlos – gerade weil der Mensch über das ritualisierte Gehen und die wiederkehrenden Bewegungsabläufe eine Aussöhnung mit sich und der Zeit findet. Es würde alles besser gehen, wenn man mehr ginge, wusste schon der größte Wanderer aller Zeiten, der Dichter Johann Gottfried Seume, der vor zweihundert Jahren zu Fuß von Sachsen bis Sizilien ging und darüber ein wunderbares Buch schrieb.

© anyaberkut - Fotolia_

Liegen seit Jahren die Wander-Motive „Natur erleben“ (75%), „sich bewegen“ (57%) u.a. unangefochten voran, so schieben sich seit einiger Zeit intrinsische Motive – vor allem der Abbau von Stress (31%) – immer stärker ins Spitzenfeld des Motive-Sets (Quelle: Deutsche Wanderstudie 2014, GfK/MIT). Natürlich gibt es eine enorme Produkt-Differenzierung bei der Angebotsgestaltung, und jede Destination muss die zu ihrer Identität und ihren Ressourcen passenden Branded Trails entwickeln, markenkonforme Wanderrouten. Zu einer Adrenalin-getriebenen Destination passen kompetitive Formate wie Speedhiking, Trailrunning u.a., zu einer anderen wiederum spannende Lernpfade (Naturlehrpfade, History Trails etc.) oder Hybrid Trails (Wandern/Segeln u.a.) in einer Küstenregion.

IMG_6885Eines steht aber in der Produkt-Semantik immer im Blickfeld: die Natur. Kein Wunder, kommen doch die meisten Wanderer aus städtischen Ballungsräumen und legen ihre Sehnsüchte in das Natur-Schöne. Sie suchen Glücksgefühle durch die Bewegung in der Natur und erwarten sich zugleich Bequemlichkeit – deswegen müssen die Touchpoints vor Ort (im Sinn von Berührungs-Punkten) markenadäquat bespielt werden, den Gästen muss es in jeglicher Hinsicht einfach gemacht werden (Convenient Nature).

Natur aber ist kein Selbstzweck, sondern ein Resonanzraum, der Sehnsüchte zum Klingen bringt, eine Kinoleinwand, auf die Städter seit der Industriellen Revolution ihre Träume projizieren. Deswegen genügt die Natur – in ihrer reinsten Form – nur selten (außer man hat es mit ikonografischen Landschaften wie Patagonien, den Dolomiten etc. zu tun). Der Soziologe Gerhard Schulze brachte den interessanten Begriff des „naturbegegnenden Reisens“ ins Spiel: dieses zielt auf Ankunft ab, nicht auf Steigerung, es „verlangt nach Freiraum von präfabrizierten Erlebnisangeboten, d. h. Stille, optische Zurückhaltung, Weglassen von Angeboten“. Ein radikaler, kühner (Backlash-)Gedanke, aus meiner Sicht aber dennoch falsch.

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Seit der Renaissance ist der Mensch an inszenierte Blicke gewohnt, er „erlebt die Landschaft dann als schön, wenn er sie durch ein Fenster sehen kann“ (Peter Sloterdijk, Cicero 11/2013.) Das Fenster kann man hier als Metapher sehen – es geht beim Wandern um das Arrangement der Blicke (und damit der Einsichten und Erkenntnisse) und die Dramaturgie der Schritte. Im Kern geht es um eine sinnliche Dramaturgie der Wandertrails (Best Practise z.B. die Wandertrilogie im Allgäu), um eine Akzentuierung der Natur mit endogenen (also zum lokalen Spirit, zur Marke passenden) Symbolen.

Je mehr der Algorithmus zum Betriebssystem der Digital-Moderne wird, desto stärker wird die Sehnsucht nach physischen Erfahrungen, nach sinnlichem Begreifen, nach Erlebnissen abseits der cleanen Displays und zu Tode arrangierten Instagram-Welten: das Knirschen der Schritte auf dem Weg, das taufrische Gras, über das die Hand streift. In einer zunehmend virtuellen Welt (in der Menschen Medien nur noch in Fragmenten konsumieren), in der Zeit und Aufmerksamkeit in Mikroeinheiten zerteilt werden, kommt der „langen Erzählung“ (die man in einem Stück erlebt) eine wachsende Bedeutung zu, daher auch der Boom der Weitwanderwege – diese sind, in ihrer Konzeption, Anti-Narrative der Digital-Moderne, weil sie einem den Rhythmus der Natur (und die eigene Begrenzung) auferlegen.

© hanswichmann_ Fotolia_77382113_S_

Und so hat Wandern wie kaum eine andere Freizeit-Aktivität viel mit Meditation zu tun, mit Selbstfindung. Wer geht, ist immer auch auf dem Weg zu sich selbst. Wandern ist eine innere (Such-)Bewegung, ein „Freiraum, in dem der Mensch nicht nach außen mit anderen, sondern nach innen mit sich selbst kommuniziert“ (Ulrike Zöllner). Der Städter, der in seinem Büro „mind-wandering“ betreibt und in Tagträume abdriftet, weiß um diese Kraft und dass er diesen Flow am Wochenende absichtslos – beim Wandern – erzielen kann.

 

Dieser Beitrag beruht auf einem Vortrag, den Andreas Reiter vor kurzem auf einem Symposium im Salzkammergut hielt (Fotos unten: STMG/www.fotohofer.at)

Symposium 2016 Reiter_salzkammergutScan0025

1 Kommentar zu “Walk, don’t run

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