Smart World Urban Future

Die Stadt post Corona

Krisen beschleunigen immer das Neue, erzwingen einen schnellen Systemwandel, wie er unter normalen Bedingungen so nicht möglich wäre. Zerstörung des Alten und Neuordnung gehen dabei oft Hand in Hand. So verändert aktuell etwa die Covid-19-Pandemie unsere (Innen-) Städte strukturell und treibt in Städten zwei Entwicklungen voran: 

  • Blended Living
  • Responsive City.

Blended Living

Das neue städtische Normal forciert einerseits die Virtualisierung unseres wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens, definiert andererseits aber auch den öffentlichen Raum und die Anforderungen an diesen neu. Dieses Wechselspiel zwischen (virtuellem) Space und (analogem) Place führt zu einer Dekonstruktion des städtischen Gewebes und einer neuen Balance zwischen Öffentlichem und Privatem, Nähe und Distanz, Urbanität und Dritter Natur.

Ein agiles, permanentes Sich-Überlappen von On- und Offline strukturiert den städtischen Raum neu. Menschen arbeiten und konsumieren künftig viel situationselastischer als heute, wechseln selbstverständlich zwischen analoger und physischer Welt. Diese Entwicklung hatte sich ja schon seit Jahren (kontinuierlich) ihren Weg gebahnt, Corona zündete hier nun die nächste Rakete. Die zunehmende Virtualisierung verändert das Display unserer Städte, ihre Benutzer-Oberfläche und Benutzerströme. Schon einmal, im 19. Jahrhundert gab es so eine Zäsur: die Industrialisierung ordnete den öffentlichen Raum neu – hier die Fabriken, dort die Schlafsiedlungen.

Heute lassen digitale Plattformen in vielen Branchen (Handel, Dienstleistung, Gewerbe usf.) stationäre Formate und starre Flächenkonzepte erodieren bzw. zwingen diese zu einer Neuausrichtung. In der Arbeitswelt post Corona dreht sich künftig alles um multilokales Arbeiten: mal arbeitet man im Büro, mal im Home Office, mal von unterwegs aus. Blended Living eben (siehe auch unser Blogpost https://bit.ly/2VdINqg).

Der stationäre Handel, der bislang wichtigste Frequenzbringer von Innenstädten, ist mit am stärksten in Disruption, beschleunigt durch Covid-19. Veraltete Konzepte werden brutal aussortiert (etwa der Typus Kaufhaus à la Karstadt und Co.), die Konzentration nimmt zu, die Verkaufsflächen werden kleiner. Verkauf und Showroom werden immer öfter entkoppelt. Neue meist multifunktionale Formate entstehen, die drei K’s – Konsum, Kultur und Kommunikation – formieren sich zu neuen städtischen Hubs (künftig findet man in Shoppingmalls Co-Working Spaces, städtische Bibliotheken und andere Freizeiteinrichtungen, wer durch asiatische Metropolen wie Seoul geht, kennt die Dramaturgie hybrider Orte; aber auch bei uns sieht man hybride Formate bei Vorreitern wie „Breuninger“ in Stuttgart: im Parkhaus des Kaufhauses wird dort aktuell ein surreales Auto-Theater (Kafka) aufgeführt!).

Mixed Use-Konzepte sind die Zukunft. Unsere Innenstädte werden in den nächsten Jahren komplexer bespielt – es wird darin wieder mehr gewohnt und gearbeitet werden. Ich plädiere seit langem für eine Verjüngung der Innenstädte als Rezept gegen deren zunehmende Musealisierung – etwa durch Ansiedlung von universitären Einrichtungen, Spin-Offs u.a., Urban Campus also.

Place ist wichtiger als Space

Je virtueller die Gesellschaft wird, desto mehr steigt aber auch die Bedeutung analoger Orte. Ob Handel oder Kultur, ob Freizeiteinrichtungen oder konsumfreie Plätze als Orte der Begegnung –  Menschen brauchen diese Dritten Orte mehr denn je. Denn diese stiften Identität, Kommunikation und Gemeinschaft. Place ist wichtiger als Space. Das haben wir im Shutdown erkannt: nur dort, wo eine Stadt durchmischt und (sozial) verdichtet ist, wo sie pulsiert, wo sich Menschen begegnen – dort schlägt ihr Herz.

Noch nie war die essentielle – multifunktionale – Bedeutung des öffentlichen Raums so augenscheinlich. Während die Landbewohner Wald und Wiese (und damit gesunde Luft) vor der Haustür haben, müssen die Städter kreativ neue Wege gehen. Freiheit und Bewegungsdrang wollen ausgelebt, der Dichte-Stress abgeschüttelt werden. Pop-up-Formate entstehen in vielen europäischen Städten – temporäre Radwege, Spielstraßen, Begegnungszonen, Pocket-Parks u.a. Autofreie Innenstädte breiten sich aus, von Wien bis Hamburg. Noch nie war es so evident wie jetzt: Stadt-Nutzer brauchen Freiraum – zum Luftholen, für Aktivitäten und Bewegung im Freien, für Socialising (unter differenzierten Abstands-Auflagen). Gefragt sind hier mehr Experimente, ungewöhnliche Nutzer orientierte Konzepte, die auf Zeit angelegt sind und rasch adaptiert werden können – Prototyping also. Der Wettbewerb um qualitativ hochwertige Dritte Orte – und um die Dritte Natur – hat gerade erst begonnen.

Responsive City

Krisen wirken immer wie ein Brennglas. So zeigte sich beim Ausbruch der Pandemie die Kraft des Sozialen. Paradoxerweise breitet sich die Welle der Empathie gerade dann aus, wenn Nähe und Distanz im städtischen Zusammenleben neu austariert und immer wieder neu ausverhandelt werden müssen. In einer Krise rücken Menschen stärker zusammen, der Bedarf an Kooperation und (noch wichtiger!) an Kollaboration wächst. So sind in den Wochen des Shutdowns eine Unzahl an lokalen (digitalen) Netzwerken entstanden (support your locals u.a.). Die Stadt-Nutzer erkannten die „Systemrelevanz“ der Geschäfte und Lokale in ihrer Nachbarschaft: wir alle hängen von einander ab.

Diese virtuellen Netzwerke gilt es post Corona in tragfähige nachhaltige Strukturen überzuführen. Die digitale Empathie muss strategisch gelenkt und kreativ übersetzt werden, z.B. in Hackathons oder Mackathons, bei denen Start-ups neue Lösungen entwickeln, die uns aus der Krise führen. Beispielhaft macht dies Bielefeld mit seiner klug aufgesetzten Initiative Open Innovation City Bielefeld vor. Wer die Stadt innovieren will, muss die Schwarm-Intelligenz nutzen, in Ökosystemen und nicht mehr in Silos denken… Die Innenstadt gehört zur kritischen Infrastruktur der Stadt- Gesellschaft, sie muss von allen gepflegt und konzertiert strategisch weiter entwickelt werden.  

Und nun? Wir werden durch Corona als Stadtgesellschaft stärker herausfiltern, was wir wirklich brauchen und was nicht. Was uns resilient macht, krisenrobust. Die post Covid-19-Transformation jedenfalls verlangt ein neues Betriebssystem, eine neue Komplizenschaft unter den städtischen Akteuren, aber auch eine Re-Vision der städtischen Organisation (warum nicht einen städtischen CTO installieren, einen Chief Transformation Officer, der die komplexen Change-Prozesse koordiniert?). Denn nach Covid wird auch dort vieles nicht mehr so sein wie vorher.

Andreas Reiter hielt eine Key Note zur post-Covid-Stadt als Auftakt des Bielefeld HACKATHON – Das Neue Normal, einer gemeinsamen Initiative des Digitalisierungsbüros der Stadt Bielefeld und der Open Innovation City Bielefeld https://bit.ly/2YwS3b0


https://openinnovationcity.de/

2 Kommentare zu “Die Stadt post Corona

  1. Ein sehr interessanter Beitrag mit vielen nachvollziehbaren Entwicklungsschritten für smarte, moderne Städte.
    Ich bin gespannt, mit welchem Tempo sich die kleinen Städte an der Peripherie an diese Entwicklungen anpassen werden.

    • Andreas Reiter

      Besten Dank Herr Heinke… die kleineren Städte haben natürlich ein anderes Veränderungstempo, weil auch in einem anderen Wettbewerbsumfeld

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