Das gute Leben Konsum-Trends Place Making Urban Future

Social Pleasure: Die Innenstadt als sozialer Resonanzraum

Leben ist Transformation, und nirgendwo ist dies so sehr zu spüren wie in unseren Städten. Unser zunehmend digitaler Lebens- und Konsumstil (Remote Work u.a.) dekonstruiert physische Orte (Büros, Handel etc.) und zwingt diese, sich neu zu erfinden. Dies gilt vor allem für die Innenstadt.

Vorbei sind jene goldenen Jahrzehnte, in denen die Innenstadt eine einzige Umkleidekabine war, ein Monopoly-Spielfeld aus Einkaufsstraßen, Kauf- und Parkhäusern. Diese monokulturelle Bespielung der Innenstadt ist am Ende ihres Lebenszyklus angelangt, Filialisten wandern immer öfter ab ins Netz oder verkleinern ihre Handelsflächen. Shopping – zwar noch das vorwiegende Motiv beim Innenstadt-Besuch – verliert vor allem bei der Generation Z seit Jahren nachweislich stark an Bedeutung. Veränderte Konsummuster (as-a-Service, Direct-to-Consumer und künftig vor allem zirkuläre Konzepte, die Kauf, Reparatur, Recycling etc. zu neuen attraktiven Handels-Formaten verschmelzen) treiben die Konversion der City und der Einzelhandelslandschaft weiter voran.

Minimalismus ist schön und gut, aber woher holt ihr euch euer Serotonin, wenn ihr nix kauft?“, twitterte einmal der Social Media-Satiriker El Hotzo. Ganz einfach: es geht künftig nicht nur um Serotonin, sondern mehr noch um Oxytocin. Um die soziale Bindungskraft, um soziale Narrative. Eine attraktive Innenstadt sorgt primär für Begegnungen und Inspiration, sie kuratiert Zufälle und Überraschungen (die – auch – monetarisiert werden können). Surprise, Surprise… Solche überraschenden Erfahrungen versprechen vor allem hybride, multifunktionale Orte, die Gastronomie, Kultur/Bildung, Konsum und nihilistisches Vergnügen verknüpfen.  

Damit auch morgen noch physisch eingekauft wird, müssen sich freilich die Formate drastisch ändern und ihre Daseinsberechtigung gegenüber dem Online-Einkauf herausstreichen. Der Store als Story: Erfolgreiche Retail-Formate verführen zum Konsum, indem sie bedeutungsvolle Erfahrungen schaffen. Sie zielen auf immersive Überraschungen ab (die einen emotionalen wie kognitiven Gewinn mit sich bringen), auf das Staunen, das (sich) Ausprobieren. Es ist daher mehr als folgerichtig, dass sich Showroom und Verkauf teils entkoppeln, die Wertschöpfung wird künftig vermehrt an anderen (vor allem digitalen) Orten generiert.

Hatte der Handel bisher andere Branchen integriert (in der COEX Mall in Seoul ist sogar eine 2stöckige öffentliche Bücherei integriert), so wird es künftig öfter umgekehrt sein. Handel verlagert sich zunehmend an städtische Hoch-Frequenz-Orte und Mobilitäts-Hubs. Der Hauptbahnhof im holländischen Utrecht ist so ein Beispiel: größter Bahnknoten des Landes, futuristische Überdachung des Areals, darunter eine imposante unterirdische Fahrradgarage für 12.500 Bikes und nebenan eine hoch frequentierte Shopping Mall. Proximity as a Service.

Der entscheidende Treiber im städtischen Place Making freilich wird der Buchstabe S der 17 Nachhaltigkeitsziele, der SDG‘s. Dritte Orte, Infrastrukturen und Services, die gesamte Citizen Journey muss vom Menschen in der disruptiven Moderne und dessen sich verändernden Bedürfnissen her gedacht werden. Die Leitfrage dabei lautet: Was macht das gute Leben für die Bewohner:innen und Stadt-User aus? Wie gestalten wir resiliente, inklusive und klimafitte Lebensräume? Wie bleibt unsere Stadt attraktiv für die dringend benötigten Talente und Investoren?

Lebenswerte Städte funktionieren wie Dating Apps – sie bringen die passenden Leute zusammen und organisieren den Zufall. Doch dieser Zufall muss vorausschauend geplant und in ein Wertegerüst (Gemeinwohl, Human Scale u.a.), in ein Common Good eingepasst sein. Schließlich werden wir in den nächsten Jahren einen massiven sozialen Klimawandel erleben. Social Impact ist daher allerorts gefragt, von Seiten der Kommunen wie der Unternehmen, Social Business-Modelle werden künftig viel stärker als heute in den traditionellen Kapitalismus integriert. Schon jetzt heben die multiplen Krisen vermehrt soziale Themen nach oben – und damit städtische Orte, die gesellschaftliche Begegnungen ermöglichen und Gemeinschaften stärken. Kulturen werden durch soziale Rituale stabilisiert, durch die Routine identifikationsstiftender Orte. „Die Stadt ist ein Ort des Theaters, bei dem die Anwesenden Schauspieler, Statisten und Zuschauer zugleich sind“, so der legendäre Stadt-Soziologe Walter Siebel. 

Städte sind soziale Resonanzräume, sie verdichten Energie und Kreativität. Diese ziehen sie aus ihrer funktionalen Diversität und Kleinteiligkeit – künftig wird in den Innenstädten wieder gewohnt und gearbeitet, es wird sich unterhalten und (smart) produziert. Kleinere Campus-Formate (wie etwa in Siegen), Schulen u.a. bringen junges Leben in die Stadt, Parks, Spielplätze (ja!) und Wasserflächen sorgen für grüne und blaue Aufenthaltsqualität.

Konzentrierte Energie, interagierende Stadt-Akteure. Kollaborative Intelligenz eben. Die Entwicklung der Innenstadt hängt künftig mehr denn je von einem kraftvollen gemeinsamen Narrativ ab (das mehr ist als die Marken-Story), von vorausschauender Komplizenschaft der Akteure, die im Kleinen das Große Ganze verwirklichen, starke soziale Orte erschaffen und damit nachhaltige Lebensqualität. Alles andere, auch das Shopping-Vergnügen, erfolgt nebenbei.

Video-Interview Andreas Reiter zu „Handel & Innenstadt“ (Messe Frankfurt) https://bit.ly/3pEhzeL

Zukunft der Innenstadt, Andreas Reiter im Interview im Deutschlandfunk, August 2023 https://bit.ly/3skUfnz

4 Kommentare zu “Social Pleasure: Die Innenstadt als sozialer Resonanzraum

  1. Vielleicht bin ich mit meinen 60 Jahren ein Auslaufmodell (obwohl sehr modisch unterwegs), aber wenn ich mir ein neues Sakko kaufen will und permanent mit diesem Wort „Erlebnis“ konfrontiert werde, wird mir übel. Ein konkretes Beispiel, vor ein paar Wochen im Sillpark (eine Mall mit 3 Geschossen in Innsbruck) erlebt: Ich wollte kaufen, wusste nicht, dass irgendeine „Shopping-Night“ (oder ein ähnlicher Schmarren) an diesem Freitag Frühabend angesetzt war: DJ bei P&C (ohrenbetäubender dümmlicher Bumm-Bumm Krach…sorry, ich spiel‘ E-Gitarre und tendiere noch immer zu „echter Musik“), draußen derweil eine Saxofonistin, die sich vom Tape begleiten ließ (immerhin „Mercy Mercy Mercy“ – Zawinul schau obe!), im EG bei P&C dann beides zu einer gräßlichen Kakophonie verbunden. Das Ende vom Lied. Ich habe die Flucht angetreten. Ohne Einkauf.

  2. Andreas Reiter

    Besten Dank Herr Grossbauer, für Ihren geschätzten Kommentar.

    Ihre Einschätzung teile ich, deshalb spreche ich auch NIE von Erlebnis. Sondern von „Erfahrungen“ (und da steckt ein Wissensgewinn mit drin, also wie und von wem wurde die Waren produziert, nachhaltige Lieferketten/Produktion etc.)… Ganz unabhängig davon, ist der Kauf eines Sakkos ja so etwas wie ein alltäglicher Kauf, da braucht es nun wirklich kein Erlebnis. Beste Grüße an Sie, Andreas Reiter

    • Gerald Grossbauer

      D’accord, Hr. Reiter! Liebe Grüße und ich bin tatsächlich gespannt in welcher Form sich Innenstädte wandeln, zumal das Abwandern des Handels aus den Zentren tatsächlich ja für Städte derzeit mit massiven Problemen in Sachen Nachnutzung verbunden sein dürfte.

  3. Andreas Reiter

    Ja, das ist sicherlich DIE Herausforderung… Um/Nachnutzung

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..