Destination Future Tourism Place Making

Bergsommer – Inszenierung als Kraftplatz und Psychotop

Die Alpen sind einer der meist inszenierten touristischen Spielplätze der Welt, gespielt wird dort jedoch mit Vorliebe im Winter.  In den österreichischen Bergen ist der Winter-Tourismus (seit Mitte der 1990er Jahre) die treibende Kraft und der Wertschöpfungsbringer – der Sommer hingegen meist ein Stiefkind.

Doch nun gehen Tourismus-Werber in die Offensive: die Schweiz und Österreich werben – zeitgleich! – mit ihren Wasserschätzen, Niederösterreich möbliert seine Berge mit den „Enzis“, den kultigen Sitzmöbeln aus dem Wiener Museumsquartier, die Tirol Werbung will mit einer gewohnt kantigen, werteorientierten Bergsommer-Kampagne Tirol wieder als Ganzjahresdestination stärken.

Der Bergsommer steht vor einem neuen Lebenszyklus. Die traditionellen Sommergäste sind im Aussterben, die ergrauenden Baby Boomer inszenieren ihre ewige Jugend lebenslänglich und die Jungen sind, mit ihren komplexen Lifestyle-Ansprüchen, nicht unbedingt Berg-affin. Zentrale Aufgabe der Destinationsentwicklung ist es daher, den Berg im Sommer zu verjüngen sowie mit Lifestyle-Produkten moderne Performer anzuziehen, andernfalls zerfasert der alpine Sommer in zu viele Nischen.

Doch wie gelingt eine Attraktivierung des Bergsommers, wo liegen die Erfolgsfaktoren? Aus meiner Sicht gibt es vier strategische Drehpunkte:

1. Spitze Profilierung (Marke). Die wenigen erfolgreichen Sommer-Destinationen in den Alpen, z.B. Serfaus, Hexenwasser, Achensee u.a. haben eine spitze Profilierung mit konsistenter Markenführung.

Die Berge werden künftig noch stärker als Lifestyle-Marke positioniert – Cross-Marketing von Tourismus und Markenartiklern (z.B. Autoindustrie) wird verstärkt. Eine klare Segmentierung in Hot Spots und „Nature Treasures“ abseits des Mainstreams, in Adventure-Parks (wie die Area47 im Ötztal), in Ballermänner und Natur-Parks zerteilt die Gebirgs-Landschaft.

2. Attraktions-Management / Story Telling. Der Wettbewerb der Destinationen ist längst ein Wettbewerb der Symbole. Nun haben ja die wenigsten Destinationen eine ikonografische Landschaft oder ein „Fetisch“-Symbol wie z.B. das Matterhorn oder die Drei Zinnen. Daher müssen sie ihre Landschaft mit Marken-Architektur (Landscaping, Gipfelkreuze in 3D u.a.) bespielen, mit  dreidimensionalen Erlebnis-Skulpturen – die wohl spannendste alpine Landschaftsinstallation ist das Kunstprojekt  Horizon Field, bei dem Antony Gormly 100 mannshohe Figuren für zwei Jahre in die Vorarlberger Bergwelt gewuchtet hat.

Markenzentriertes Attraktions-Management erfordert eine Bespielung der emotionalen und mythologischen Kern-Ressourcen (allen voran Wasser, Stein, Holz), aber auch eine Modernisierung traditioneller Inszenierungsmittel (z.B. Bergfeuer).

Fact ist: der Massen-Tourismus in den Bergen hat seine postpubertäre Phase hinter sich. Die Fun- und Adventure-Inszenierungen werden reifer, die Natur wird konservierend in Szene gesetzt. Der Berg von morgen wird – an ausgewählten Kontaktpunkten – „möbliert“, mit starken Erzählungen bespielt. Berge sind Mythen-Räume, metaphysische Psychotope, in denen Menschen sich und ihre Umwelt mit allen Sinnen wieder neu entdecken wollen. Der Berg wandelt sich vom Biotop zum Psychotop.

3. Besetzung von Zukunftsthemen (z.B. Natur & Science, Kraft, Inspiration). Die zentralen Leistungsversprechen des Sommerbergs sind Kraft und Energie. Ob als  naturnaher Fitness-Raum oder als Steilwand für Grenzgänger – die Berge werden über Clean Sports erlebt. Die Outdoor-Aktivitäten polarisieren sich stärker: in Hardcore-, Hybrid und Soft Sports. In einer ausgebrannten, alternden Gesellschaft ist jedoch – langfristig – nicht mehr Adrenalin das primäre Markenversprechen der Berge, es geht stärker um Authentizität und Inspiration.

In unserer digitalen Wissens-Gesellschaft verschmelzen Arbeit und Freizeit, aber auch urbaner Lifestyle und Natursehnsüchte. Themenfelder wie Nature & Science werden wichtiger. Diese Sehnsüchte müssen dramaturgisch übersetzt werden in zielgruppengerechtes Edutainment (siehe Triassic Park in Waidring, Tirol) oder in sinnlich-spielerisches Naturerleben (siehe Hexenwasser in Söll, wo selbst das minutenlange Betrachten der Einflugschneise der Bienen! ein Brummer ist).

4. Berginneres: Wir haben den Berg jahrzehntelang als schräge Spielwiese mit Fun-Tools bespielt, jetzt geht es – auch metaphorisch – ins Innere. Dort liegen noch gewaltige Potenziale versteckt. Bislang lüfteten nur wenige das Geheimnis, das die Berge im Innersten verBERGen. Der Dachstein Eispalast mit seinen Eisskulpturen ist hier ein Pionier, aber auch der Erlebnis-Bergstollen am Jungfraujoch in der Schweiz (wo seit kurzem ein multimedialer Erlebnis-Trail, die Alpine Sensation, Besucher auf Rollbändern in die touristische Geschichte der Alpen entführt), die Tropfsteinhöhlen im slowenischen Karst und neuerdings selbst ein per Steiglift erkundbarer Krater (des inaktiven Vulkans Thrihnukagigur auf Island).

Im 19. Jahrhundert hatten die Menschen die Alpen als Spielwiese entdeckt. Im späten 20. Jahrhundert wurden die Berge als Fun- und Erlebnispark inszeniert. Im 21. Jahrhundert werden die Alpen wieder vermehrt als Kraftplatz und Energie-Tankstelle entdeckt.

Andreas Reiter referierte in den vergangenen Tagen mehrfach zum Thema Bergsommer, z.B. beim Presse-Round Table der Tirol Werbung auf der Simonalm / Hexenwasser oder beim Workshop Bergsommer für Lech Zürs Tourismus am Arlberg.

Vortrag Andreas Reiter: Lech Zürs Tourismus:

http://www.ztb-zukunft.com/pdf/sommer_berg_lech.pdf

Presse-Links:

Interview Andreas Reiter in Frankfurter Rundschau:

http://www.tt.com/%C3%9Cberblick/Wirtschaft/WirtschaftTirol/4983572-6/neue-ideen-f%C3%BCr-den-alpinen-bergsommer.csp

http://www.pressezone.at/promedia/presse/detail.php?we_objectID=2771

http://www.tirolwerbung.at/xxl/de/presse/_pressid/1693286/index.html

Best-of-Beispiele:

http://www.hexenwasser.at/

http://www.area47.at/

http://www.jungfrau-haslital.ch/art_resource.php?sid=33doc.2g2fj61

www.triassicpark.at

http://www.mineralbad-rigikaltbad.ch

 

2 Kommentare zu “Bergsommer – Inszenierung als Kraftplatz und Psychotop

  1. s.schellhorn

    grossartiger kommentar .
    passt ins bild. nicht nur produkte produzieren – leben sollte man sie
    danke

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