Konsum-Trends

Das kleine Glück der Ereignislosigkeit

Postmoderne Menschen stehen unter wachsendem Performance-Druck – nicht nur in der Arbeitswelt, sondern auch in der Freizeit. Der Profilierungsdruck nimmt hier wie dort zu, durch (Self-) Tracking optimieren wir uns ständig weiter (ob Output im Job, körperliche Fitness oder To-Do-Listen im Urlaub). Während die einen den „Effizienz-Fetischismus“ kritisieren, werfen die anderen lächelnd noch schnell ein Avocado-Smoothie ein und stellen davon ein perfektes Selfie auf Instagram.

Das kuratierte Leben – ästhetisch und ethisch durchgestylt und durch Algorithmen perfektioniert – ist eine Geschichte der permanenten Selbstoptimierung. All die Influencer im Netz – von „Bibis Beauty Palace“ bis zu „New-Kitch-on-the-Blog“ treiben das Rädchen der Selbstverwirklichung ein Stück weit voran. Schöner werden, schöner essen, und natürlich besser leben, und das in jedem Lebensbereich. Wobei: die Postmoderne hat dem Menschen drei Reviere zugestanden, die er aktiv gestalten und in denen er sich ausdifferenzieren und sich (scheinbar) von anderen abheben kann:

  • Food (Man ist, was man ißt)
  • Freizeit-Erlebnisse (Erlebnisse sind heute wichtiger als Produkte)
  • Körper (Body-Design, Fitness, Power).

Barber Klaus lebt ebenso von dieser Identitätsarbeit seiner Kunden wie das Fitness-Studio ums Eck oder die Downhill-Destinationen in den Alpen. Denn Selbstoptimierung ist die große Schwester der Individualisierung und das Narrativ einer liberalen Marktgesellschaft: „Es ist wichtig, stets hart an sich zu arbeiten und seinen eigenen Weg zu gehen“ (Angelique Kerber, Tennisspielerin), „Du musst dein Leben ändern“ (Peter Sloterdijk, Philosoph).

Wenn Selbst-Optimierung das Grundrauschen unserer Gesellschaft ist, dann wird die eigene Identität flüssiger. War Identität früher eine „Lebensaufgabe, ist sie heute eine Frage des Augenblicks. Sie ist nicht mehr auf ewig angelegt, wir müssen sie ständig neu zerlegen und wieder zusammensetzen“, erkannte der von mir sehr geschätzte Soziologe Zygmunt Bauman.

In unserem Alltag, der durchformatiert ist und per App optimierbar, wird die Suche nach Glück zu einem biografischen Marathonlauf. Ratgeber wie „The Danish Art of Happiness“ erklären uns, wie wir mit kleinen Veränderungen unser Leben „hygelliger“, und uns selbst zufriedener machen. Heerscharen von Glücks-Konsumenten pilgern jeden Sommer mit derartigen Lifestyle-Bibeln nach Dänemark, Schweden oder Norwegen, wo ja bekanntlich die glücklichsten Menschen der Welt wohnen sollen. Happiness-Tourismus also, angezogen von Instagram-Fotos von schicken nordirschen Interiors, vom Preikestolen oder vom Baden im eiskalten Oslo-Fjord.

Wer zu Hause bleibt, kennt zwei Sehnsuchtsorte, an denen man wieder in Einklang mit sich selbst kommt: das Bett (https://goo.gl/EdL1L3) und die Natur.

Vor allem die Natur ist für den Städter der Sehnsuchts-Ort schlechthin, dort – so die Erwartung – wird man augenblicklich wieder geerdet und alles Lästige fällt beim Gehen durch Wald und Wiese von einem ab. Die Natur ist – und dies bereits seit der Romantik – der idealisierte Resonanz-Raum, in dem das eigene Ich wieder zum Klingen kommen soll. „Ankommen und Aufleben“, wie es einem ein Werbe-Claim suggeriert. „Das Naturschöne ist dem Digitalschönen entgegengesetzt“, schreibt der Philosoph Byung-Chul Han, „es erschließt sich einer blinden, unbewussten Wahrnehmung.“

P1110061_Ja, es ist vor allem das Nichts, es ist die Stille und das absichtslose Dasein, es ist das Aufgehen des eigenen Ich im größeren Ganzen, das die gestresste Seele in der Natur wohltuend umfängt. Der Blick vom Weinberg hinunter in die Stadt, in der Nase noch den Duft des frischen Weins, das Schlendern durch die wundersam komponierten japanischen Parklandschaften, das meditative Wandern über die norwegischen Berge.

Es geht um etwas Größeres als Nature oder Forest Bathing (Begriffe, mit denen das Marketing neuerdings gerne auf die Konsumenten losgeht). Es geht um einen Freiraum vom Effizienz-Denken, der nicht der Optimierung unterworfen ist. Einen Raum, über den kein Instagram-Filter gelegt ist, in dem kein Algorithmus jede unserer Regungen trackt… einen, in dem der Mensch einfach nur sein kann. Es geht um das kleine Glück der Ereignislosigkeit.

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