Leben auf dem Land? Nichts für junge Talente, auf den ersten Blick jedenfalls. Im Wettbewerb um kreative Köpfe gewinnen die großen Metropol-Regionen und universitären Schwarmstädte, die die 18-35-Jährigen unwiderstehlich ansaugen. Das Land scheint abgeschlagen – der ländliche Raum verliert jährlich mehr als 5.000 gut ausgebildete Menschen allein an den Großraum Wien. 2050 sollen nur noch 16 Prozent der Deutschen auf dem Land wohnen (derzeit ist es knapp ein Viertel).
Die Jungen ziehen weg, auf dem Land bleiben die 3 A’s zurück – die Alten, die Ausrangierten, die Abgehängten. Ein vorprogrammiertes Endspiel?
Keine Frage, die geografische Lage bestimmt die sozio-demografische. Aber da Geografie in einer digitalisierten Gesellschaft an Bedeutung verliert, da dank digitaler Vernetzung Arbeit zunehmend ortlos erfolgt, werden (Lebens-)Räume und (Arbeits-)Orte neu definiert, die Karten neu gemischt. Der ländliche Raum wird vom Ausgedinge zum Zukunftslabor, zur „Smart Rural Area“ – wenn denn künftig die Regionen Vorleistungen wie flächendeckende Kinderbetreuung, intelligente (intermodale) Mobilität, Ausbau von LTE, 5G usf. anbieten. Und vor allem: wenn sich das Land eine neue starke Zukunfts-Erzählung gibt, die junge Talente – insbesondere junge Frauen – anzieht.
Noch aber ist das vorherrschende Image des Landes weitgehend alten Mythen verhaftet – das Land als Projektionsraum für die Sehnsüchte von Städtern, als (überschaubare, kompakte) Gegenwelt zur bösen Globalisierung, als Fluchthelfer aus der beschleunigten Moderne. „Der Städter hält das Dorf für einen Zoo“, formuliert die Autorin Juli Zeh pointiert. Und so fahren die Städter am Wochenende hinaus aufs Land, machen vegane Selfies mit den letzten Eingeborenen und lüften in der freien Natur ihre gestresste Seele durch.
Das Land muss dringend raus aus diesem Nostalgie- und Chillout-Modus, wir haben es schließlich längst mit flüssigen, hybriden Welten zu tun: die Stadt wird grün, das Land smart und kreativ. Wer mit offenen Augen durch die Lande fährt und hinter die romantisierenden Instagram-Filter schaut, merkt: da und dort vibriert die Zukunft, und zwar gewaltig. Denn die Nervenfasern unserer digitalen Ökonomie durchziehen vorwiegend die ländlichen Räume: ein Netzwerk von riesigen Logistik-Zentren (alleine Amazon hat davon 11 im ländlichen Deutschland) und Server-Farmen umspannt das Land, High Tech-Manufakturen liegen mitten in der Pampa. Und selbst der gute Landwirt konterkariert inzwischen das touristische Image: er hantiert mehr mit Bordcomputern und Applikationskarten als mit dem Euter der Kuh – Precision Farming ist ein Gebot der Stunde. Die Einschläge der digitalen Moderne treffen vor allem die ländlichen Regionen und transformieren sie. Rem Kolhaas, Architekt und scharfsinniger Urbanismus-Theoretiker!, hat es als erster erkannt: „The countryside is the frontline of transformation“.
Das Neue entsteht oft an den Rändern. Nicht nur im Allgäu, in der Steiermark oder im Schwarzwald sind die High-Tech-Performer zu Hause, etwa wenn sich bei Rottweil – mitten in der Botanik – der (neue) Aufzugstestturm von ThyssenKrupp in den Himmel schraubt, eine Hochtechnologie-Ikone im Wald. Geschäftlich unterwegs, treffe ich überall in der sogenannten Provinz – und bin meist selbst überrascht – auf Weltmarktführer und Hidden Champions, ob in Vorarlberg, im Badischen oder am Niederrhein. Smart Country eben.
Einst verlassene Dörfer in Friaul und im Piemont, ja selbst das verwunschene Bad Gastein im Salzburger Land werden plötzlich von Kreativen wiederbelebt. Ländliche kreative Kraftzentren wie der Bregenzerwald können es ohnehin schon längst mit jeder Creative City aufnehmen (https://goo.gl/dpwoJW). Innerhalb eines immer größeren Radius rund um unsere Metropolen (und vorerst nur dort) erleben viele Kommunen einen Aufschwung – als (leistbarer) Lebensort für junge Familien – der freilich mit Leben gefüllt werden muss.
Damit der Relaunch des ländlichen Raums wirksam bleibt und in einen nachhaltigen Aufschwung mündet, bedarf es einer Gesamt-Strategie und einer systemischen Standort-Entwicklung, bei der die zentralen Akteure vor Ort – die öffentliche Hand, Wirtschaft, Tourismus etc. sowie die Zivilgesellschaft – gemeinsam die regionale Lebensqualität erhöhen und mit kooperativen Projekten am smarten Image der Region weben. Innovation entsteht immer in Konvergenzfeldern, dort wo die Grenzen zwischen den Branchen verschwimmen, wo sich High Tech, Industrie 4.0, Manufaktur und pfiffige Dienstleister verschränken. Dies erfordert ein starkes Regional-Kapital und ein konzertiertes Place Making.
Bei all dem sollte man nie vergessen, dass die weichen Faktoren mehr zählen als die harten. Talente sind mobil. Wo die Digital Natives ihr Craft Beer schlürfen oder bei einem Caramel Macchiato neue Geschäftsideen ausbrüten, ist sekundär – sie brauchen dafür „nur“ eine (sozial) anregende Atmosphäre und eine kompakte, wertige Infrastruktur. Das müsste doch auch auf dem Land zu machen sein.
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