Das gute Leben Future Tourism Place Making

Magic Moments – was wir uns vom Sommerurlaub erwarten

Dieser fette Sommer. Man sitzt, von der Hitze sediert aber zufrieden, unterm Sonnenschirm, nippt an seiner Ingwer-Minze-Limo und blinzelt träge aufs Wasser. „Ich liebe Wiederholungen. Sie verwandeln die Zeit in einen Ort“ (Karl Ove Knausgård). Ja, und den Ort in eine Zeit, den Sommer-Urlaub.

Die Erwartungen an diese scheinbar kostbarsten Momente des Jahres, aber auch an die Urlaubserlebnisse selbst haben sich in den letzten Jahren gewaltig ausdifferenziert. War der Urlaub bis in die Nullerjahre per se so etwas wie eine Gegenwelt zum Alltag, ein ritualisierter Ausstieg aus dem Alltag, so zerfließen heute die Grenzen zwischen Urlaubs- und Alltagsleben, und auch jene zwischen Touristen und Einheimischen – beide sind ständig auf der Suche nach „herausragenden“ Erfahrungen, nach Signature Experiences, die sie auf Instagram & Co für ihr Ego Branding kreativ in Szene setzen. (Instagramfähige) Erlebnisse sind für die Generation der Millennials wichtiger als Produkte, sie nützen der Differenzierung und dem eigenen Status. Ich werde geliked, also bin ich.

aaDer Mensch der Digital-Moderne ist zum Symboljäger geworden, der über ungewöhnliche Erlebnisse und Image-Settings die eigene Identität immer wieder neu zusammensetzt. Somit ist Urlaub, auf die knappste Formel reduziert, Sammeln von Erinnerungen, von magischen Momenten.

Die Urlaubs-Sehnsüchte des Menschen werden von drei Motiven getrieben, der Suche nach

 

  • Resonanz
  • dem (Natur)Schönen
  • dem Außergewöhnlichen

Resonanz

Urlaub soll – über die Regeneration hinaus – den Menschen wieder in Balance mit sich und seinen innersten Bedürfnissen bringen. Das Leben in der flüssigen Moderne ist nicht nur anstrengend, sondern auch immer wieder verunsichernd. So viele Möglichkeiten, so viele Unsicherheiten. Wer bin ich und wohin will ich eigentlich? Gefragt sind da Orte und Erlebnisse, die einen wieder in Einklang bringen mit sich.

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In einer Welt, in der Beziehungen volatiler werden, wächst auch die Sehnsucht nach sozialer Resonanz. Der Urlaub soll einerseits die Quality-Time innerhalb einer Familie, in Partnerschaften etc. gewährleisten. Andererseits aber auch generell die Sehnsucht nach Gemeinschaft erfüllen, die einen trägt und einbindet, nach echten, intensiven Begegnungen. Gerade im Tourismus entscheidet die Qualität der Begegnungen und der sozialen Rituale (z.B. Festivals, Sport-Events oder der Austausch mit den Locals). Der Gast wird Einheimischer auf Zeit, aus Hotels werden Social Hubs, „begehbare“ Communities – die jungen Marken der Stadt-Hotellerie (Jo & Joe, Ruby etc.) sind „Personas“ in 3D, sie wollen über ihre persönliche Geschichte eine Intimität und Nähe herstellen.

Das Natur-Schöne

Die Digital-Moderne produziert funktionelle Orte und austauschbare Räume (Shopping Malls, Airports, Einkaufsstraßen etc.), bei denen die „Ästhetik des Glatten“ (Byung-Chul Han) dominiert. Alles funktioniert, aber wenig berührt.

Je mehr im Alltag die „Nicht-Orte“ dominieren, die keine „Identität stiften, keine gemeinsame Erinnerung erzeugen“ (Marc Augé), desto mehr entwickeln Menschen eine Sehnsucht nach Tiefe, nach dem Schönen, nach Struktur und Harmonie. Places statt Spaces. Orte sollen uns im Innersten berühren, Magic Places eben – wie die Altstadt von Dubrovnik, die Kanäle von Venedig, die Kathedrale von Reims oder die Tempelanlagen von Angkor Wat.

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Der Projektionsraum all unserer antizivilisatorischen Sehnsüchte ist aber, spätestens seit der Romantik („Der Wanderer über dem Nebelmeer“) die Natur. Ob die Dolomiten im rötlichen Abendlicht, ob der Regenwald auf Sumatra oder ein norwegischer Fjord – von der Natur und ihrer unbedingten Schönheit, ihrer unverfälschten Kraft wollen wir ergriffen werden. In ihr spüren wir Vollkommenheit, aber auch unsere eigene Begrenztheit.

Das Außergewöhnliche (Beyond the Normal)

Freizeit ist immer auch Paradies auf Zeit. Dieses Paradies gibt es, seit der Vertreibung von Adam & Eva bekanntlich nicht mehr, aber umso mehr sucht man esim Extremen: dort, wo es ganz leise ist (wo man ganz bei sich ist) und dort wo es laut und lebendig ist (unter anderen Menschen). Die Freizeit-Dramaturgie hat somit zwei große Handlungslinien, zwei Story Lines: die Destination Ich und die Destination der kollektiven Dopamin-Aussschüttung.

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Der erfahrene (und saturierte) Kunde wird zum Experience Seeker, der Glücks-Erlebnisse abseits des Mainstreams sucht und daraus seinen Image-Gewinn erzielt. Er dehnt sein Ich mit kleinen und großen Grenzüberschreitungen aus: mit Food-Experimenten (z.B. Sardinen mit kandierten Zitronen) oder mit sportlichen Kicks (Highlining & Co), mit schrägen Community-Events (z.B. Bierkistenhüpfen beim Hipster Cup) oder mit dem Besuch abgestorbener Orte (Lost Places wie Pyramiden auf Spitzbergen)…

Was auch immer man für Vorlieben hat, Reisen hat im frühen 21. Jahrhundert mehr als je zuvor die Funktion, uns zu verändern. Transformative Travel – und das möglichst ritualisiert: Sommerurlaub eben.

magic_places_Dieser Beitrag beruht auf einer Key Note über Magic Places, die Andreas Reiter bei einer Tagung des  Landestourismus-verbands Sachsen hielt