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Nature Pleasure. Das post-pandemische Glücksversprechen

Nach einem Jahr des kollektiven Hofgangs ist bei vielen die Stimmung im Keller. Vor allem junge Leute gleiten zunehmend in Depressionen ab: keine Parties, keine Dates, keine Hot Spots für Insta-Stories. Allenfalls organisiert man sich zu einem Walk & Talk mit der besten Freundin und läuft in Schnür-Boots durch den Stadtpark. Mit sozialer Energie ist es gerade nicht so, auch um die digitale Plauderecke Clubhouse ist es nach dem ersten Hype (erwartungsgemäß) wieder still geworden.

Ja, das Immunsystem unserer Gesellschaft ist angeknackst, das kleine Glück (Essen, Sex, Streaming) ist schnell ausgereizt. Was bleibt ist die Natur, die während der Pandemie eine beinahe religiöse Überhöhung erfährt. Natur ist zwar seit langem schon, seit der Romantik, der Sehnsuchtsraum der Städter, hat aber noch nie so viele irdische Erlösungsphantasien gebündelt wie jetzt. Heilende Kräfte werden ihr zugeschrieben, sie gilt als Immunbooster, reduziert Stress (Biophilia-Effekt) und stärkt das psychische Wohlbefinden. 9 von 10 Menschen macht es „glücklich, in der Natur zu sein“ (BMU). Die Superreichen in den USA schaffen sich, als neues Statussymbol, Trophäen-Bäume an und importieren uralte Olivenbäume aus Europa.

Und wer das gerade nicht kann, der holt sich die Natur ins Haus: In den Städten schießen Blumenläden aus dem Boden wie einst die Coffeeshops, Zimmerpflanzen sind die neuen Tattoos der Digitalisten. Pflanzen vertreiben nicht nur den Alltagsblues, sie sind Hoffnungsträger, blühende Metaphern der Krisenbewältigung… über die Beschäftigung mit ihnen begreifen wir das Wesen der Welt, versöhnen wir uns mit dem Lauf der Dinge. Plant up your life. Man streicht zärtlich über die Ranunkeln auf dem Balkon, kultiviert Trockenblumen oder die Flaschengärten auf dem Fensterbrett, diese adretten Mikro-Paradiese im Glas. Man taucht dabei in die „Wellbeing“-Playlists der BBC ab, mit all den phantastischen Soundscapes aus der Natur…, oder lauscht den Achtsamkeits-Podcasts der Plantfluencer. Alles wird. Alles vergeht.

In pandemischen Zeiten wird die Natur zum Zufluchtsraum. Naturnaher Urlaub boomt, Beherbergungsformate im Freien werden von Jung und Alt vermehrt nachgefragt: Schlafen unter Sternen, Survival-Camps, Übernachten im Strandkorb, Glamping usf. Die ersten Start-ups vermitteln schon ungenutzte Outdoor-Flächen als Zeltplätze, um so das Wildcamping einzudämmen. Verständlicherweise wollen alle dem Dichtestress der Städte entfliehen. Und so strömen, winters wie sommers, Massen von Naturliebhabern (von denen jeder glaubt, nicht Teil der Masse zu sein) in die Natur und an dieselben Hot Spots, ob an der Ostsee oder in den Alpen.

Die Folge: Staus an den entlegensten Plätzen, so kämpfen z.B. in den Bergen, abseits der Skipisten, Heerscharen von Skitourengehern um dasselbe Stück einsame Natur. (Die dabei entstehenden Nutzungskonflikte können zwar mit smarter Besucherlenkung (Predictive Data) bald vorausschauend gelöst werden; im Kern erfordern sie jedoch ein vollkommen neues Beziehungs-Management in den Destinationen, ein neues Ökosystem, in dem die „4 B’s“ – Bewohner, Betreiber, Besucher, Behörden – verantwortlich interagieren.)

Remote Work, ein zunehmend virtuelles Leben, gleichzeitig aber auch eine große digitale Erschöpfung verstärken die Sehnsucht der Menschen nach Bewegung in der Natur, nach Weite und Freiheit. Draußen ist das neue Drinnen. Wir verbringen immer mehr Zeit im Freien, das verändert auch die Angebotsstruktur, ob to go-Konsum, Außengastronomie im Winter oder naturnahe Tagungsformate. Outdoor wird zum post-pandemischen Lifestyle, Friluftsliv nennen die Norweger diesen Lebensstil, der Natur und Bewegung, Lebensfreude und Gesundheit verbindet und somit ein wahres Glücksversprechen ist: Wer in der Natur ist, der kommt unweigerlich in den Flow. Und zudem in den Genuss einer Sinnesimplosion: wir erleben Natur ja nicht nur visuell, sondern auch olfaktorisch und akustisch: die Rosen duften, die Vögel zwitschern, die Baumkronen wippen im Wind.

Gerade ihre sinnlich-greifbaren Qualitäten machen die Natur – als Gegenpol zur synthetischen High-Tech-Welt – künftig noch begehrens- und damit schützenswerter. Hier die disruptive Digital-Moderne, dort die Natur mit ihrem – beruhigenden – Kreislauf aus Wachsen, Blühen und Vergehen. „Das Naturschöne ist dem Digitalschönen entgegengesetzt“, so der Philosoph Byung-Chul Han.

Die Pandemie hat uns die unschätzbare Bedeutung der Natur als Rückzugs- und Erholungsraum vor Augen geführt – und zugleich ihre Gefährdung durch Klimakrise und schwindende Biodiversität, durch Grüne Schwäne. Was bedroht ist und knapp, rückt noch stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit. „Mich interessiert die Landschaft ohne Horizont, denn die Menschheit bewegt sich zunehmend in eine solche Landschaft hinein“ (James Turrell). Wer sein Glück in der Natur sucht, muss auch was dafür tun.

Über Natur und Nature Experiences denken wir vom ZTB Zukunftsbüro viel vor… zuletzt etwa über die sich ändernde gesellschaftliche Bedeutung des Waldes im Rahmen der „Waldstrategie 2030” des Landes Tirol. Oder darüber, wie wir den Zugang zur Natur fair-antwortlich neu regeln können, vor kurzem u.a. in einer Key Note auf der Online-Tagung “Besucherlenkung“ von IHK und Tourismus Marketing Baden-Württemberg – diese Präsentation finden Sie hier zum Download: https://bit.ly/2R6L5bF

4 Kommentare zu “Nature Pleasure. Das post-pandemische Glücksversprechen

  1. Stefan Möhler

    Toll geschrieben – danke fürs Teilen Deiner Gedanken lieber Andreas!

    • Andreas Reiter

      Vielen Dank lieber Stefan, das freut mich sehr…. Herzliche Grüße, Andreas

  2. Das ist ein sehr schöner Beitrag lieber Andreas – ja, unser Verhältnis zur Natur hat sich geändert in der Pandemie. Das hat sicher auch damit zu tun, dass uns im Moment die Natur als einziger Ort zur Erholung dient. Theater, Konzerte, Kinos, Gastronomie, Hotels usw. also defacto die ganze Freizeitwirtschaft, ist im Moment zu. Und wenn man sonst nirgends hin kann, klammert man sich noch an das, was man hat und überhöht es. Als Winzer arbeitet ja man viel mit der Natur und ist sehr von ihr abhängig. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass wir als Gesellschaft in den letzten Jahren nicht gerade sensibel mit der Umwelt und der Natur umgegangen sind. Wir spüren den Klimawandel inzwischen sehr massiv in den Weingärten, etwa durch einen immer früheren Weinlesezeitpunkt. Und auch wenn wir bei unseren Gästezimmern sehr darauf achten, die Umwelt nicht zu belasten, sorgte das viele Wechseln der Gäste für einen hohen Aufwand an Wasser und Reinigungsmitteln, denn die Zimmer müssen ja mit jedem Wechsel neu gemacht werden. Mir war daher schon länger klar, dass es so nicht weitergehen kann. Aber leider wurde das viel zu lange ignoriert. So gesehen kann man die Pandemie aus als Akt sehen, wo die Natur den Menschen in die Schranken gewiesen hat. Ich hoffe, wir lernen daraus und gehen es jetzt besser an. Wir können uns aber gerne mal diesbezüglich auch persönlich austauschen. Liebe Grüße aus Göttlesbrunn, Manfred

    • Andreas Reiter

      Danke für deinen schönen (und aus eigener Erfahrung berichtenden) Kommentar, lieber Manfred. Ja, die Pandemie ist hier sicher ein Mind Changer… Vieles wurde uns erst in den letzten Monaten bewusst und dringlich (z.B. die Bedeutung der Natur gerade für Großstädter), Themen wie Bio-Diversität und Klimaschutz bekommen eine noch größere Bedeutung. Entscheidend ist, wie du auch schreibst, was hier jetzt gelernt haben und mitnehmen für die Zukunft! Beste Grüße an Dich, Andreas

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