Wenn etwas im frühen 21. Jahrhundert eine subtile Anstrengung erfordert – dann wohl die Ausformung der eigenen Persönlichkeit, der eigenen Identität: tradierte Sicherheiten brechen weg, biografische Optionen poppen auf. Alles ist möglich, nichts mehr ist festgezurrt und auf immer angelegt. „Wer bin ich und wenn ja wie viele?“, brachte der Philosoph Richard David Precht die investigative Frage vor dem Badezimmerspiegel passend auf den Begriff.
Identity Building wird zur lebenslangen Aufgabe, zur eigentlichen Lebenskunst in der Postmoderne, in der Brüche und Umbrüche aus biografischen Linien oft wilde Zacken machen („Gelungenes Leben besteht in gelungenen Umzügen“, Peter Sloterdijk). Der Lebens-Lauf als Cross Country-Run… Die Konstruktion der eigenen Identität besteht nicht selten in ihrer De-Konstruktion, in Phasen der schöpferischen Zerstörung und nachfolgenden Neuerfindung.
Kein Zufall, dass das Selfie die Kunstform der Generation Y (Why wie Warum) ist, eine Momentaufnahme der eigenen fragilen Identität, die ja zwei Klicks später wieder eine ganz andere sein kann.
Je mehr die Freestyle-Biografie zur Norm wird, je mehr sie in 6-Sekunden-Clips auf Vine zelebriert wird, desto stärker wächst die Sehnsucht des Einzelnen nach sozialer Zugehörigkeit und Resonanz. Diese kann man – mit Glück – in Liebesbeziehungen und Familien finden, am Arbeitsplatz und in Communities. Identität entsteht dabei immer zwischen den Antipoden: Betonung des Eigenen und Abgrenzung von Anderen – je fragiler die eigene Identität, desto stärker die Abgrenzung (das kennt man ja von unappetitlichen politischen Gruppierungen und grenznahen Stämmen).
Zukunft beruht schließlich auch auf Herkunft – und hier kommt unweigerlich der Begriff der Heimat ins Spiel. Heimat ist das Epizentrum der Emotionen, in ihr verschränken sich persönliche und kollektive Identität. Ein – historisch lange negativ besetzter – Begriff wird in einer global vernetzten Gesellschaft immer mehr rehabilitiert und neu aufgeladen als Lebensraum, der einem Zuhause ist und Identifikation bietet.
Je vielfältiger Europa wird, desto wichtiger wird es für die einzelnen Regionen, die eigenen Stärken herauszufiltern, sich zu differenzieren – in ihrer Alltagskultur, ihrem way of life, in ihrer Produkt-Semantik, kurz in ihrer Profilierung. Und so erleben wir ein teils originär-pfiffiges, teils bloß von Branding getriebenes Upcycling und Recycling regionaler Kulturen.
Im besten Fall aber gelingt ein produktives Mixen von Tradition und Moderne, mit dem uns die Kreativwirtschaft, die Touristiker, die Handwerker und Genussmittel-Hersteller überraschen… Regionale Identität (= Marke) dient nicht nur der Resilienz, sie wird zum Hebel der Regional-Entwicklung, stärkt lokale Wertschöpfungs-Netze und erhöht das soziale Kapital.
Damit die Region aber nicht zum Firewall vor der Moderne degeneriert und in allem Neuen gleich Trojaner sieht, die es abzuwehren gilt, muss sie sich nicht nur wirtschaftlich und touristisch öffnen, sondern vor allem mental. Moderne Gesellschaften sind nur dann langfristig erfolgreich, wenn sie kulturelle Diversität pflegen. Oder, wie es eine kluge Studie der Bertelsmann Stiftung (‚Radar gesellschaftlicher Zusammenhalt‘) formuliert: „Moderne Gesellschaften beruhen nicht auf Solidarität, die aus Ähnlichkeit erwächst, sondern auf Solidarität, die auf Verschiedenheit und gegenseitiger Abhängigkeit fußt.“
Dieser Beitrag fasst einen Vortrag zusammen, den Andreas Reiter vor kurzem zum Thema „Identität und Region“ in Wiltz/Luxemburg hielt, anlässlich der Gründung der dortigen EU-Leader-Region Éislek.
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