Wir leben in schnelllebigen Zeiten – ein Wisch übers Display und schon kann unsere Welt eine ganz andere sein. Der Hochgeschwindigkeits-Modus verändert unseren Lebensstil nachhaltig: alles Beständige löst sich auf, das Temporäre wird zur Konstante.
Folgerichtig verfeinert unsere Gesellschaft hybride Kulturtechniken: On-Demand-Modelle leiten uns beim Konsum (der Zugang ist wichtiger als der Besitz, Spotify lässt grüßen), Arbeit und Freizeit überlappen sich ebenso wie die analoge und virtuelle Welt. Dritte Orte werden zu multifunktionalen Spielwiesen (Bahnhöfe, Stadt-Hotels, Coworking Spaces als Nachfolger des Büros usf.), der Kiosk um die Ecke dient als „Pick-up-Point“ für nicht zugestellte Pakete, wenn man mal wieder nicht zu Hause war.
Alles Feste wird flüssig: Geschäftsformate werden temporär (Pop-up-Modell), Biografien fraktaler, politische Parteien verstehen sich heute als „Bewegung“, Touristen wiederum als „Einheimische auf Zeit“. War „Identität früher eine „Lebensaufgabe“, ist sie heute eine Frage des Augenblicks… wir müssen sie ständig neu zerlegen und wieder zusammensetzen“ (Zygmunt Bauman). Und: wir wechseln immer öfter zwischen unseren „Teil“-Identitäten – vor allem in den sozialen Netzen, in denen wir ja unterschiedliche Facetten ausleben: die visuelle Identität auf Instagram, die soziale auf WhatsApp, die geschäftliche auf LinkedIn usf.
Weil alles derart schnelllebig und vergänglich ist, kommt der Erinnerung eine besondere (emotionale) Bedeutung zu. Wenn das Beständige zerfällt, wenn aus einer großen Erzählung unzählige kleine werden, dann wird die Erinnerung an das, was einmal war, zum Anker, an den wir andocken können. Zum Klebstoff, der unsere Seele (unsere Teil-Identitäten und Avatare) zusammenhält.
Nicht zuletzt deswegen ist das Selfie – als temporäres Selbstbild, als situative Inszenierung des Ich – so wichtig für die Identitätsbildung. Das Ich der digitalen Moderne setzt sich aus unzähligen Selfies zusammen, aus seriellen Ego-Updates und (auf Instagram & Co.) kuratierten Erinnerungen, lauter kleine Puzzlesteine, die eine begehrenswerte Erzählung bilden.
Die neue Fluidität hat natürlich auch Auswirkungen auf das Marketing und die Marken-Kommunikation. Diese werden das Thema „Erinnerung“ künftig noch stärker aufgreifen müssen. Marketing in digitalen Zeiten bedeutet: Ausgestaltung der Erinnerungspfade. Wenn sich die gesellschaftlichen Werte vom Haben zum Erleben drehen, wenn die Nutzung eines Produkts wichtiger wird als dessen Besitz, dann rückt das Marken-Erlebnis – und damit dessen Erinnerungswürdigkeit – in den Vordergrund jeglicher Kommunikation. Was Menschen – und Marken – ausmacht, sind Erinnerungen.
Was zeichnet aber nun starke Erinnerungspfade aus? Ganz einfach: die stimmige Übersetzung uralter Sehnsüchte, die an zentralen Touchpoints erlebt bzw. ausgelebt werden können:
- Vertrauen und Glaubwürdigkeit – etwa in Form von Personalisierung. Diese nimmt nicht nur in Gestalt von Influencern im Marketing zu, sondern ganz generell im Dienstleistungssektor: der Barber ums Eck heißt Klaus, die Friseurin Uschi, das Restaurant Egon oder Joe & the Juice, die Banking-App der Erste Bank George usf.
- Community (die Zugehörigkeit zu einem Clan, der sich um die Feuerstelle schart)
- Der Duft des Analogen (je digitaler die Welt, desto wichtiger werden sinnliche Erfahrungen, daher auch z.B. die explosionsartige Zunahme an Food-Konzepten).
Diese Werte bilden die Achse des Guten. Wer sich nachhaltig in die Erinnerung seiner Kunden einspeichern möchte, sollte sie unbedingt beherzigen. Damit Marketing nicht zum bloßen Content-Chichi wird, sondern echte Beziehungen stiftet.
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