Die Digitalisierung verändert den städtischen Raum – so massiv wie es zuvor nur die Industrialisierung im 19. Jahrhundert getan hat. Sie hebt jegliche Grenzen auf – zwischen Arbeit und Freizeit, Stadt und Land, zwischen Öffentlichem und Privatem, zwischen Tag und Nacht. Zugleich aber belebt nichts so sehr den städtischen Raum wie eben dieser digitale Switch. Je virtueller nämlich die Welt wird, desto stärker wird zugleich die Sehnsucht der Menschen nach realen, sinnlichen Erfahrungen, nach magischen Orten, die Bedeutung in sich tragen und Identifikation ermöglichen (nachhaltiger als in den flüchtigen sozialen Netzen).
In einer digitalen Gesellschaft, deren DNA die Ort- und Zeitlosigkeit ist, kommt insbesondere den Hubs der nomadischen Gesellschaft eine besondere Bedeutung zu: den Bahnhöfen und Airports, den multifunktionalen Malls und Hotels, also den Umschlagplätzen der flüssigen Moderne. Und so geht es in der Stadt von morgen um einen gesunden Mix von unverrückbaren historischen Orten (eingespeichert ins kollektive Bewusstsein) und fluiden, offenen Stadt-Räumen. Wir werden künftig in unseren Innenstädten beides kultivieren – die historische Atmosphäre ebenso wie das Temporäre (Pop-Up-Semantik, Container-Living u.a.) und das Hybride (offene, neue Formen der Nutzung, z.B. wenig genutzte Parkhäuser als Wohnraum).
„Die Digitalmoderne hat ein Faible für das Hybride. Sie verschleift, was eindeutig schien. Sie privatisiert das Öffentliche, veröffentlicht das Private, sie verunklart den Ort und die Zeit und die Funktionen.“ Hanno Rauterberg, Wir sind die Stadt
Wo die Digitalisierung Stadt-Räume aufbricht, wo Branchen und Geschäftsmodelle immer virtueller werden (vom E-Commerce bis hin zum E-Banking), da wird der Stadtraum fragmentierter und kleinteiliger. Aus Vierteln werden Achtel, und aus diesen Sechzehntel. Die Akzentuierung kleinräumiger Identitäten ist eine der zentralen Aufgaben im städtischen Place Making, es geht dabei im Kern um „atmosphärische Bespielung“, um eine dreidimensionale Dramaturgie, um Story Telling, das Auflösen des lokalen Spirits in bewegenden Geschichten.
Eines der bemerkenswertesten Sechzehntel ist das Berliner Bikini-Haus, eine Concept Mall, letztes Jahr am Zoologischen Garten eröffnet. Bikini Berlin ist konzeptionell und atmosphärisch anders als die übrigen Shopping-Malls, die ja meist im uniformen Mainstream stecken – Dritte Orte als biografische Nicht-Orte gewissermaßen.
Bikini Berlin hingegen ist ein wunderbar inspirierender Hybridraum: einerseits ein ikonografischer Ort der Berliner Nachkriegszeit (neben der Gedächtniskirche) – behutsam revitalisiert, die Fassade ein dezenter Mix aus Historie und Moderne; andererseits eine avantgardistische Pop-up-Mall, mit kuratierten Concept-Stores und eigensinnigen Labels, dazu temporäre, experimentelle Retail-Konzepte. Bikini Berlin bietet – mit Stores, Kino, Gastronomie, Dienstleistern und Büros sowie dem 25hours-Hotel – auf engstem Raum eine urbane Erlebnisdichte, eine funktionale und räumliche Vermischung von Unterhaltung, Arbeiten und Freizeit, angelehnt an den Lebensrhythmus der Generation Y. Der experimentelle Pop-up-Bereich der Mall greift mit seinen reduzierten Boxen (flexible Modulsysteme aus Holz) den Genius Loci lässig auf, man denkt unwillkürlich an die Affenkäfige im benachbarten Zoo, auf den man von der Dachterrasse hinabschaut. Ein Narrativ, eine Marken-Geschichte, die auch vom integrierten 25hours-Hotel in Design und Story Telling – bewährt verspielt – wieder aufgegriffen wird: das Motiv im Berliner Ableger der Hotelkette ist diesmal der „Urban Jungle“.
Wo sonst kann man in einem Hotelzimmer in einer Schaukel hoch über dem urbanen Dschungel liegen? Wer in der Monkey-Bar im letzten Stock des Hauses einen Cocktail schlürft und unten im Zoo unsere Vorfahren, die Affen herumturnen sieht, kommt dabei in den höchsten selbstreflexiven Genuss – ein Selfie besonderer Art.
Andreas Reiter sprach auf der Tagung „Innenstadt verhandeln“ in Berlin im November 2014 über die Zukunft unserer Innenstädte. Die Präsentation können Sie hier von unserer Website herunterladen: http://www.ztb-zukunft.com/pdf/achtel_urban_berlin.pdf
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